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"Gemeinsamkeiten und Unterschiede" - Gedanke zum Freitag

Kaan Orhon
26.12.2014

Bismillah

Gedanke zum Freitag
Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

Einst sprachen die Engel: "Maria, Gott verkündet dir eine frohe Botschaft durch ein Wort von Ihm. Sein Name ist der Messias, Jesus, Sohn Marias. Würdig ist er im Diesseits und im Jenseits. Er gehört zu denen, die in Gottes Nähe weilen. ((Al-i-Imran:45))

In den Tagen um Weihnachten wird ganz besonders oft auf die Bedeutung von Jesus/ Isa (as) für Muslime und Christen verwiesen, als Symbol für die Gemeinsamkeiten der Religionen. Das ist richtig, aber ist nur ein kleiner Ausschnitt davon: die Gemeinsamkeiten von Christen und Muslimen – und Juden – gehen im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Anfang der Welt zurück, bis zu Adam und Eva und setzen sich fort über Abraham und Noah, David und Salomo – Allahs Friede auf ihnen allen.

Ebenso klar stellen sind auch die Unterschiede, die nicht zuletzt an der Person Jesu (as) hervortreten. Die Vorstellung von Gottessohnschaft und Tod am Kreuz sind ebenso wie die Prophetenschaft Muhammads (s) oder das Verständnis von Monotheismus definierende, zentrale Verschiedenheiten – wahrer Dialog auf Augenhöhe kann nur im Bewusstsein und auf dem Fundament dieser Unterschiede stattfinden und kann nicht zum Ziel haben, sie zu verwischen oder zu übergehen.

Ohnehin spielen im Dialog zwischen Religionsgemeinschaften und ihren Mitgliedern die Fundamente – so seltsam dies auf den ersten Blick scheinen mag nur eine untergeordnete Rolle. Für die, die kein Wissen über die Religion des anderen haben, ist es oft faszinierend und auch sehr wichtig, zu erfahren, wie viel Gemeinsames eigentlich existiert.

Doch jene, die ein umfangreicheres Wissen haben und den Kontakt und Austausch mit Menschen anderen Glaubens dauerhaft pflegen, müssen einen Schritt weitergehen als das bloße Vergleichen von Glaubensvorstellungen wenn ihr Dialog wirkliche Früchte tragen soll. Sie müssen gemeinsam Probleme benennen und Lösungen entwickeln, müssen einen Beitrag dazu leisten, dass das Zusammenleben für Menschen verschiedenen Glaubens besser funktioniert.

In diesen Tagen stellt sich das besonders eindrücklich am Phänomen der antimuslimischen Pegida- Aufmärsche dar: gegen jene, die eine fehlgeleitete Vorstellung des christlichen Abendlandes durch die Bekämpfung von Minderheiten als Feindbild zu verteidigen suchen, beziehen Kirchen, christliche Organisationen und einzelne Gläubige Stellung. Es geht um die Deutungshoheit über Symbole wie das Kreuz oder auch so etwas wie Weihnachtslieder – wir sehen es hier und dort, auf beiden Seiten des politisch-gesellschaftlichen Grabens. Wem „gehören“ diese Symbole und wofür sollen sie stehen?

Diese Fragen sind Muslimen nicht unbekannt, und vielfach hat man beim verfolgen der Entwicklung ein Déjá-vu. Ein Christ hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: „Nicht in meinem Namen“. Eine solche Reaktion hatte es auch von Muslimen bezüglich der Verbrechen des sogenannten ISIS gegeben. Diese war allerdings von einigen Muslimen kritisiert worden: es bestehe keine Notwendigkeit, sich zu distanzieren, wo nie eine Nähe zu den Mördern im Namen der Religion bestanden hat.

Wie verhalten wir uns also, wenn Christen sich von Pegida distanzieren? Loben wir es und teilen die Bilder fleißig weiter, oder wenden wir uns an die Betreffenden und sagen, dass wir zwar den Geist dahinter wertschätzen, aber es keiner Distanzierung bedarf, weil wir nie die Gesamtheit der Christinnen und Christen in Deutschland für die menschenfeindliche Ideologie der Pegida verantwortlich gemacht haben? Wir müssen darauf achtgeben, an andere keine höheren Maßstäbe anzulegen, als an uns selbst.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.