Deah, Yusor und Razan

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"In Gedenken"

Kaan Orhon
13.02.2015

Bismillah

Gedanke zum Freitag
Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen


Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„Und meine ja nicht, diejenigen, die auf Allahs Weg getötet worden sind, seien tot. Nein! Vielmehr sind sie lebendig bei ihrem Herrn und ihnen werden Gaben zuteil.“
((Al-i-Imran:169))

Drei junge Menschen lächeln mich von einem Foto an.

Muslime, wie ich. Studierende wie ich selber einst einer war. Als ich mein Studium begann, war ich etwas jünger als der Älteste von ihnen. Als ich mein Studium beendet hatte, war ich älter als die drei waren, als sie starben.

Deah Barakat, Yusor Mohammad und Razan Mohammad Abu-Salha sind von einem Nachbarn getötet worden, ob unmittelbar aus Hass, oder wegen einer von Hass getriebenen Aggression über eine Nichtigkeit, kann niemand sagen. Es ist auch nicht das, was mich primär beschäftig.

Nach menschlichen, diesseitigen Maßstäben erscheint es so unerträglich, so ungerecht, dass diese drei freundlichen, intelligenten, gläubigen, engagierten jungen Menschen aus dem Leben gerissen wurden, dass sie so vieles niemals erleben durften: Kinder bekommen und aufwachsen sehen, einen Beruf ergreifen, den sie lieben und der sie erfüllt, reisen und die Welt sehen oder was auch immer sie sich für ihre Zukunft gewünscht und vorgestellt hatten.

Doch ich finde Trost in der Versicherung ihres und meines Herrn, die ich diesem Text vorangestellt habe. Was ich subjektiv als ungerecht empfinden mag, ich weiß, sie werden kein Unrecht erfahren vor dem Angesicht Allahs. Er ist der beste Erbarmer. Mein Abschied ist ein Gebet:

Möge Er ihnen die höchste Stufe des Paradieses geben und ihren Hinterbliebenen Trost und Stütze sein. Wir gehören Allah, und zu Ihm kehren wir zurück.

*

Doch was heißt Abschied? Wie kann ich Abschied nehmen von Menschen, die ich nicht kannte, bis ich von ihrem Tod hörte, die mich nicht kannten, mit denen ich nie gesprochen, gelacht, geweint oder irgendetwas geteilt habe? Wenn ich sage, ich trauere um sie, ist das nicht vermessen, im Angesicht der Trauer ihrer Angehörigen, der Menschen, die sie ihr ganzes Leben gekannt und geliebt haben und die damit leben müssen, dass die drei nicht mehr da sind. Die nicht aufhören können zu trauern, wenn alle, die jetzt medial Anteil nehmen, wieder zum Alltag übergegangen sind. Und das werden wir alle, mich eingeschlossen, irgendwann, es ist Teil unseres Menschseins.

Ich glaube, ich diene ihnen mehr, wenn ich über ihr Leben schreibe, als über ihren Tod. Sie waren engagierte Menschen, lokal in ihrer Gemeinde ebenso wie in Projekten für Menschen zum Beispiel in Syrien. Auch sie fühlten sich verbunden mit Menschen, die sie nie getroffen haben. Ihre Menschlichkeit trieb sie an, einen Teil ihrer Zeit und Kraft dem Einsatz für andere zu widmen. Wie so viele andere junge Menschen auf der ganzen Welt.

Die letzten Jahre sind viel zu reich an Beispielen für junge Menschen, die Wunsch empfanden, die Welt in der sie leben, zu einem besseren Ort zu machen, für alle Menschen und denen ihr Einsatz mit Leid und Schmerzen und einem viel zu frühen Tod vergolten wurde. Die Lebens- und Todesumstände dieser Menschen sind verschieden, aber ihre Leben ähneln sich, und sie sind es, die uns beschäftigen sollten. Natürlich nehmen wir Anteil, leiden und trauern als Verbundene in Glauben und Menschlichkeit. Aber es wäre – wenn man sich ein solches Urteil überhaupt anmaßen darf – sicher nicht in ihrem Sinne, wenn wir sie zu Objekten kollektiver Trauer und Verzweiflung machen und ihnen virtuelle Schreine errichten.
Die aufrichtigste, die nachhaltigste, die wertvollste Art des Gedenkens ist, ihrem Beispiel zu folgen.

Sich engagieren, wo und wie auch immer. Anderen helfen, die Gemeinschaft voranbringen, für jene da sein, denen es schlechter geht als einem selbst. Wir haben keine Garantie, dass wir ein bestimmtes Alter erreichen. Wenn wir mehr Jahre haben erleben dürfen als Deah, Yusor und Razan, dann sollten wir uns einen Moment nehmen, unserem Schöpfer zu gedenken, Ihm zu danken und für die drei zu beten. Und dann können wir im Stillen für uns selbst überlegen – wenn wir morgen diese Welt verlassen müssten, was würden wir hinterlassen? Würde man unser Fehlen spüren, über unsere Familie und unsere Freunde hinaus? Die Armen, die Unterdrückten, Nachbarn, Mitarbeiter?

Deah, Yusor und Razan werden vielen Menschen fehlen über den Kreis ihrer Angehörigen und Freunde hinaus, denn sie haben in ihrem jungen Leben Anderen viel gegeben. Wenn wir nach der Welle der medialen Präsenz, die ihrer Ermordung nun folgt, noch an sie denken und aus diesem Andenken Inspiration ziehen, aktiv zu werden, uns zu engagieren, Dinge besser zu machen anstatt sie zu beklagen, dann haben sie auch uns noch etwas gegeben.

Möge Allah der Erhabene uns, unsere Familien, Freunde und alle Unschuldigen vor dem Übel und der Hass der Menschen schützen, möge Er uns beschützen und versorgen und uns mit Liebe und bester Versorgung empfangen, wenn es für uns an der Zeit ist, Ihn zu treffen.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.