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"Islamische Politik und politischer Islam"

Kaan Orhon
30.10.2015

Bismillah

Gedanke zum Freitag:
Heute von Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„…und gehört nicht zu den Götzendienern, zu denjenigen, die ihre Religion spalteten und zu Lagern geworden sind, wobei jede Gruppierung froh ist über das, was sie bei sich hat.“ ((ar-Rum: 31-32))

Es gibt jene, die den Islam und die Muslime im religiösen Sinne spalten, wenn sie anderen Muslimen das Muslim-sein absprechen und diese zu Ungläubigen erklären oder wenn Gruppen einen Sektencharakter entwickeln und beginnen, Nebensächlichkeiten, die sie von anderen abheben, immer stärker zu gewichten, bis sie sich darüber so weit definieren, dass sie alle anderen ablehnen und sich nur noch unter ihresgleichen bewegen wollen.

Es gibt aber Formen solcher Spaltung aber auch im politischen und sozialen Bereich. Sie zeigen sich im Verhalten und der Ideologie gewisser „islamischer“ Parteien und bei Gruppen und Organisationen, die innerhalb der Muslime eine Wagenburgmentalität entwickeln: „Wir sind die guten (=die islamischen), die anderen sind der Feind.“ Das ist eine Haltung, die – das ist auch in dieser Reihe immer wieder Thema gewesen – schon bezogen auf eine nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft in höchstem Maße falsch und schädlich ist und abzulehnen. Wer anders ist, ist nicht a priori schlecht und „uns“ gegenüber feindlich gesinnt, wer durch „die Anderen“ Anerkennung findet, ist kein Verräter oder Überläufer. Um ein vielfaches schädlicher und verurteilenswerter noch ist diese Haltung, wenn sie unter Muslimen an den Tag gelegt und dann „islamisch“ begründet wird.

Da wird Verhalten einer anderen Partei, Organisation oder Gruppe als unislamisch gebrandmarkt, und kurz darauf macht man selbst etwas Ähnliches. In Wirklichkeit geht es bloß darum, dass man bei der Veranstaltung, dem Projekt nicht dass sagen hatte. Wenn man nicht der ist, der bestimmen kann, wie etwas gemacht wird, macht man sie gar nicht. Selbst wenn es ein Fortschritt für die Muslime in diesem Land wäre. Denn wirklich wichtig ist das Vorankommen der eigenen Gruppe. Wenn diese mit im Boot sitzt, bevorzugt wenn sie den Kapitän stellen darf, ist Vorankommen kein Verrat mehr und Anerkennung kein „sich verkaufen“.

Paradoxerweise sprechen genau solche Menschen, die im Zweifelsfall eine eigene Gruppe im selben Bereich aufmachen, wenn sie in vorhandenen Strukturen nicht das Sagen haben, gerne von Einheit. Einheit als hohes religiöses Gut, dass immer die anderen untergraben, wenn sie sich nicht unterordnen, und deren Aufrichtigkeit im Glauben man daher in Zweifel ziehen, deren Charakter man angreifen darf.

Gerade wenn man vom direkt politischen Bereich, von Parteien, spricht, wird das offenbar: wenn es eine Partei gibt, die ihrem Selbstverständnis nach „islamisch“ ist, was sind dann alle anderen? Der Islam sollte auf jeden Fall in einer muslimischen Gesellschaft außerhalb der politischen Auseinandersetzung stehen. Er sollte ein zivilisierender Rahmen sein, der die Extreme der politischen Auseinandersetzung begrenzt, indem er ein Element ist, auf das sich Akteure unterschiedlicher politische Lager gemeinsam positiv beziehen können. Etwas, in dessen Angesicht sich die Beteiligten bei aller Verschiedenheit der Positionen ihrer Menschlichkeit und der des Gegenübers und ihrer besten und edelsten Eigenschaften und Ideale bewusst werden.

Leider sind wir davon weit entfernt, im Gegenteil versuchen vielfach alle Beteiligten, den Islam als das exklusive Vorrecht ihrer Partei zu präsentieren. „Wer für den Islam ist, der stimmt für uns. Eine Stimme für jemand anderen ist eine Stimme gegen den Islam.“ Ein solches Politik- und vor allem Religionsverständnis ist eine Krankheit, die ganze Gesellschaften gefährdet.

Unter etwas anderen Gesichtspunkten gilt dies auch für Politik in einem mehrheitlich nicht-muslimischen Land. Wenn Rufe laut werden nach einer „islamischen Partei“, einer Partei „für die Muslime“, was meinen die Betreffenden dann damit? Und wie sollte sie aussehen, welche Positionen könnte sie vertreten? Sicherlich sind viele Themen denkbar, in denen eine solche Vertretung die Partikularinteressen der Mehrheit, wenn auch sicher kaum jemals aller Muslime wahrnehmen kann, religiöse oder soziale. Und darüber hinaus? Der Islam liefert Werte, die das eigene Handeln leiten können, er liefert keine politischen Positionen. Mehrere Muslime können auch bei aufrichtiger und lebendiger Geschwisterlichkeit in vielen Fragen verschiedener Meinung sein. Wie geht man damit um wenn es eine „islamische“ und – das folgt ja notwendig daraus – viele „unislamische“ Parteien gibt? Wenn sich, aktiv oder passiv, für eine andere Partei entscheidet, handelt man dem Islam zuwider? Natürlich nicht, aber im Wesen einiger politischer Strömungen erscheint es so. Sie sind in ihrem Wesen zutiefst totalitär und kennen keinen Mittelweg: entweder Übereinstimmung in wirklich jeder Frage oder Distanzierung, Ablehnung, Spaltung.
Unterdessen rufen aber auch sie natürlich lautstark nach der Einheit der Muslime.

Islamischer Geist in der Politik ist wünschenswert, der er verhindert gerade, den Islam zu Gegenstand politischer Diskussion zu erniedrigen. Er erinnert daran, den Nutzen aller im Blick zu haben statt engstirniger Gruppeninteressen. Und er bewahrt das Individuum davor, sich im Rahmen der politischen Auseinandersetzung selbst zu entwürdigen und den niedersten Wesenszügen im Umgang mit Anderen Raum zu geben.  

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.