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Ramadan und Pandemie

17.04.2020

Bismillah

Ramadan & Pandemie – Gedanken zum Freitag

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„Allah ist der Beschützer derer, die glauben. Er führt sie aus den Finsternissen heraus ins Licht.“
((al-Baqara:257))

In weniger als einer Woche erreichen wir mit der Erlaubnis unseres erhabenen Schöpfers ein weiteres Mal den Monat Ramadan. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt das Kommen des gesegneten Monats mit so erdrückender Sehnsucht und gleichzeitig mit solch fiebernder Hoffnung erwartet habe.

Wie viel ist hier in den letzten Tagen und Wochen durch verschiedene Medien über ein „Verschieben“ des Ramadan aufgrund der derzeitigen „Corona-Krise“ gegeistert. Dazu mussten auch einige Menschen aus Motivationen, die mir wohl nie begreiflich sein werden, noch diverse Verschwörungstheorien addieren, die mit dem Monat Ramadan und dem angeblichen Ende der aktuellen Ausgangs- und sonstigen Beschränkungen zu tun haben.


Ich werde mich nicht länger damit befassen. Denn schon eine kurze Beschäftigung damit in den „sozialen Medien“ hat mich mit einem starken Gefühl von Kummer zurückgelassen, das nur schwerlich  zu überwinden war.

Aber auch dies hat mir schließlich meine große Sehnsucht nach Ramadan ins Bewusstsein gerufen. Ich denke nicht nur ich brauche diese Tage und vor allem auch Nächte zur Heilung und zur Wiederbelebung von Seele und Körper.

Natürlich wird voraussichtlich in diesem Jahr Vieles anders seinund  Vieles wird auch fehlen, was für die meisten von uns zum Segen und zur Freude von Ramadan dazu gehört. Der Gedanke an geschlossene Moscheen oder an das Fehlen von Iftar und Tarawih in großer Gemeinschaft schmerzt. Besuche bei Verwandten werden fehlen. Nicht wenige Menschen hatten sicher geplant, im Ramadan eine Pilgerfahrt zu vollziehen. Nun sind das Haus Ibrahims und die Moschee des Gottgesandten – Allahs Segen und Frieden auf ihnen und allen Propheten – verwaist. Das Herz ist beklommen angesichts der Bilder von den heiligen Stätten dieser Tage.

Und verschiedentlich wird neben den ohnehin ausgenommenen Gruppen – Schwangere, Reisende und Kranke – auch Menschen, für die ein erhöhtes Risiko einer schweren Erkrankung an COVID19 besteht, dazu geraten, ebenfalls auf das Fasten zu verzichten.

Bleibt bei all dem Verzicht noch viel vom Ramadan, von diesem gesegneten Monat?

Natürlich! Im Gegenteil, der Segen, die Verheißung und der Lohn dieses Monats strahlen umso heller, erstrecken sich umso prachtvoller vor uns in einer Zeit der Unsicherheit und der Bedrängnis, kurz: in einer Zeit der Prüfung.

Der Erbarmer verheißt uns in Seinem Buch: Fa inna ma'al usri yusra…

„Also gewiß, mit der Erschwernis kommt Erleichterung“ ((as-Sarh:5))

Und das Versprechen unseres Herrn ist wahr.

Der Ramadan ist immer der gesegnetste Monat, egal unter welchen Umständen. Es ist der Monat des Qur‘an, es ist der Monat in dem die Nacht der Bestimmung liegt, die Nacht die besser ist als 1000 Monate.

Was unser Schöpfer uns schenkt, indem er uns den diesjährigen Ramadan erleben lässt – und ist es auch unter diesen ungewöhnlichen und auch unbequemen Umständen – ist ein solch unermesslicher Segen, dass wir es Ihm nicht angemessen danken könnten, auch wenn wir den Rest unseres Lebens in Seiner Anbetung verbrächten.

Dankbarkeit sollte ohnehin unser permanenter Zustand sein, für all das was wir erfahren dürfen.

Das soll nicht herabwerten oder verharmlosen, was viele Menschen individuell in diesen und folgenden Tagen und Wochen ertragen müssen.

Wer einen Angehörigen verloren hat durch die Krankheit, die derzeit so stark unser aller Leben prägt, oder wer hilflos zusehen muss, wie ein geliebter Mensch um sein Leben ringt; wer in finanzielle Not gerät und davor steht, sein Geschäft, seine Lebensgrundlage zu verlieren; wer einsam ist, weil es ihm oder ihr verwehrt ist, Familie und Freunde zu besuchen, dem fällt das Empfinden von Dankbarkeit sicher oft schwer und dies ist verständlich.

Und doch genießen  wir in diesem Land mit seinem Gesundheits- und Sozialsystem, mit den Möglichkeiten moderner Kommunikation und vielen anderen Segnungen Privilegien, wie sie sich unzählige Menschen auf der ganzen Welt aus tiefster Seele wünschen.
Und das nicht erst seit dem Beginn der globalen Pandemie.

Das Virus wird nach menschlichem Ermessen irgendwann besiegt sein. Möge Allah der Erhabene diesen Zeitpunkt beschleunigen.

Doch wenn dies erreicht ist, werden noch immer Menschen das unermessliche Leid von Krankheit und Hunger, von Krieg und Verfolgung erleiden. Für hunderte Millionen wird es keine „Explosion der Lebensfreude“ geben, wenn Beschränkungen aufgehoben werden, wie sie hier manche Kommentatoren erwarten. Für sie wird der „Tag Eins nach dem Virus“ ein weiterer Tag voller Leid und Unsicherheit sein. Zwischen den Bildern leerer Innenstädte unter der europäischen Frühlingssonne, begleitet von der Frage, ob die Menschen auch ja zu Hause bleiben, waren zu selten die Bilder von indischen Wanderarbeitern zu sehen, die nun keine Bleibe mehr haben, von Menschen in Syrien und im Jemen, die seit Jahren Bombenterror und Hunger und Seuchen ertragen, von Bauern in Somalia, denen Heuschrecken die Ernte auffressen.

Es geht nicht darum, Leid zu verrechnen. Das Leid hier und dort, das Leid Einzelner und großer Gruppen ist nicht von gleicher Art, aber es ist gleich real und der Kummer der Betroffenen ist gleichermaßen legitim.

Ramadan ist eben die Zeit, sich mit seinen Mitmenschen, nicht nur den muslimischen, zu verbinden und mitzufühlen. Es ist die Zeit wie und wo möglich zu helfen und eben auch dankbar zu sein.

Verdienten Dank haben in den vergangenen Wochen ÄrztInnen, Pflegerinnen und Pfleger und medizinisches Personal erfahren, die in der gesamtgesellschaftlichen Anstrengung gegen die Pandemie an vorderster Front stehen. Erfreulich viele Stimmen haben dazu bemerkt, dass sich dieser Dank nicht nur in Worten und gutgemeinten Gesten erschöpfen darf, sondern auch die Form von angemessener Verbesserung von Bezahlung, Ausstattung und Arbeitszeiten annehmen muss.
Für uns als MuslimInnen sollte selbstverständlich sein, dass sich unser Dank zudem darin widerspiegelt, dass wir diese Menschen in unseren Bittgebeten einschließen. Ganz besonders im Ramadan.

Der RAMSA wünscht Euch einen gesegneten Freitag, ein schönes Wochenende und einen gesegneten Ramadan.

Kaan Orhon - Präsident des RAMSA e.V.