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"Trennung von Staat und Religionskritik" - Gedanke zum Freitag

18.06.2021

Bismillah

„Trennung von Staat und Religionskritik“ – Gedanke zum Freitag

(Kaan Orhon)

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„Dies ist das Gleichnis derjenigen, die ihren Herrn verleugnen:
Ihre Werke sind wie Asche, auf die der Wind an einem stürmischen Tag heftig bläst. Sie haben keine Macht über etwas von dem, was sie erworben haben. Das ist wirklich der tiefe Irrtum.“
((Ibrahim:18))

Eine der beliebtesten Vorwurfs-Worthülsen der „Kritik am Islam“, d.h. real an muslimischen Menschen, ist die Aussage, ‚im Islam‘ seien Staat und Religion nicht getrennt und dies führe zur Rückständigkeit muslimischer Gesellschaften, machte den Islam zu einer Gefahr etc. etc.

Und tatsächlich ist dieser Vorwurf, wenngleich er vielfach unsachlich und destruktiv vorgebracht wird, keineswegs losgelöst von der Realität. Die Auffassung, als muslimischer Mensch müsse man in einem „islamischen Staat“ oder „islamischen System“ leben oder nach einem solchen streben, wird von verschiedenen Bewegungen und auch von existierenden Staaten vertreten.

Und diese Beispiele überzeugen Beobachter:innen eher nicht davon, dass diese Systeme sehr erstrebenswert wären.

Diese Tatsache ist dabei natürlich in keiner Weise spezifisch nur "dem" Islam zuzuordnen.

Vergleichbare Bestrebungen eines irgendwie gearteten „Gottesstaates“, mit ähnlich den oben angedeuteteten Resultaten, können wir auch in christlichen und jüdischen Kontexten, sowohl historisch als auch gegenwärtig, vorfinden. Und auch außerhalb der monotheistischen Offenbarungsreligionen ist uns dies nicht unbekannt; so sieht man etwa gerade in Indien, wozu es führt, wenn politische Macht eine Religion instrumentalisiert bzw. religiöse Extremist*innen eine Verbindung mit politischer Macht eingehen. In diesem Fall äußert sich dies in der religiösen Verfolgung der muslimischen und christlichen Minderheiten. Desgleichen zu beobachten in Burma mit dem Buddhismus.

Also liegt die Lösung von real auftreten könnenden Problemen eben in der völligen Trennung von Staat und Religion?

Das hängt davon ab, was die jeweils Mächtigen unter einer Trennung verstehen wollen. Veranschaulicht am Beispiel der USA und Frankreich, zweier Staaten, die Staat und Religion deutlich strikter trennen, als es in Deutschland getan wird:

Der amerikanische Laizismus schützt den Glauben der Menschen vor dem Staat.
Der französische Laizismus dagegen soll den Staat vor dem Glauben der Menschen schützen.

Letzteres Vorhaben steht in einer düsteren historischen Tradition die, ins Extrem getrieben, die gleichen schrecklichen Blüten austreibt wie diverse „Gottesstaaten“. Staaten und politische Systeme, die versuchen, Religion aktiv zurück zu drängen anstatt nur einer Verschmelzung mit der politischen Macht entgegen zu wirken, stürzen letztlich immer in Unfreiheit, Verfolgung und Unterdrückung.

Denn wenn Religionsgegner vom Gewaltpotential, ausgrenzenden Charakter und anderen vermeintlich schädlichen Wesenszügen der Religion fabulieren, lassen sie gerne aus, dass diese Wesenszüge sich potentiell in jedem weltanschaulichen System manifestieren können, auch und gerade in a- oder anti-religiösen.

Dies hat sich in der Geschichte nicht nur in kommunistischen Ländern gezeigt, in der Sowjetunion, in China, in Nordkorea, im sogar formell zum atheistischen Staat erklärten Albanien, im Horrorregime der roten Khmer in Kambodscha und vielen anderen.

Auch das revolutionäre Frankreich erlebte geplante und organisierte religiöse Verfolgung mit dem Ziel der Unterdrückung des Glaubens, ebenso wie im 20. Jahrhundert das demokratische Spanien während des Bürgerkrieges und Mexiko unter seinem antireligiösen Regime.

Dies ist auch kein Faktor nur der Geschichte: In der Volkrepublik China wird jetzt gerade von einem System, dass sich dem Staatsatheismus verschrieben hat, ein wesentlich auch antireligiös ausgerichteter Genozid begangen, als schrecklicher Höhepunkt einer Politik des missionarischen Atheismus, der im ganzen Land gegen alle Glaubensgemeinschaften gerichtet ist.

Ich habe es in der Vergangenheit oft erlebt, dass Verfechter*innen der Ideen von einem islamischen Staat oder islamischen System, angesprochen darauf, was an den Herrschaftsformen in Saudi-Arabien, im Afghanistan der Taliban, im Iran oder Sudan so nachahmenswert ist, entgegnen: „Ja, das sind alles keine richtigen islamischen Staaten. Wenn das richtig [lies: durch uns, wenn wir an der Macht sind] umgesetzt wird, dann ist es das beste System.“

Dies lässt sich genauso auf anti-religiöse Staaten, Bewegungen und Weltanschauungen anwenden. Das alle Systeme, die in der Vergangenheit angetreten sind, um die Religion zurückzudrängen oder sogar ganz zu beseitigen, ob mit einer marxistischen oder einer anderen Motivation, am Ende Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen, ist keine tragische Verkettung von historischen Zufällen, es ist nicht immer irgendwie schief gegangen.

Der Abstieg in Gewalt und Unrecht ist in ihrem Wesen bereits angelegt, er ist eine notwendige Entwicklung.

Historisch lag dem Kampf gegen die Religion immer die von Anfang an falsche Annahme zu Grunde, dass man diesen Kampf auch gerade im Interesse der gläubigen Menschen führe. Ausgehend von ihrem eigenen Denken, gehen (und gingen noch) antireligiöse Ideologen davon aus, Menschen seien ja gläubig aufgrund negativer äußerer Einflüsse, die beseitigt werden könnten und müssten.
Also zum Beispiel glaubten, so die Annahme, Menschen entweder aus Kummer und Verzweiflung und würden aufhören, zu glauben, wenn ihr materielles Elend erst gelindert wird (im Sinne der falschen Religionsauffassung von Marx).
Oder sie glaubten aus Unwissenheit, weil sie sich die Welt nicht anders erklären könnten und würden aufhören, wenn sie Zugang zu Bildung bekämen.
Oder schließlich, sie würden durch menschliche Instanzen, durch Kirchen, Priester, Prediger etc. gezwungen und würden den Glauben aufgeben, wenn der Staat diese Instanzen schwäche oder ganz zerstöre.

Die praktische Umsetzung und Durchsetzung des anvisierten "Abfalls vom Glauben" lief durch Zeit und Ort stets ähnlich. Der atheistische Machthaber Mexikos, Plutarco Elías Calles, soll während des Krieges gegen die katholische Kirche gesagt haben, man werde ‚die Menschen von der religiösen Hypnose‘ befreien und ‚nach einem Jahr ohne die Sakramente‘ hätten sie ‚den Glauben vergessen‘.
In der Sowjetunion war es absurderweise der „Verband der kämpfenden Gottlosen“, der den Qur‘an etwa in Usbekistan in die lokale Sprache übersetzen ließ, in der Erwartung, die Menschen würden nur an Gottes Buch glauben, weil sie es nicht verstünden und sich auf die Worte der Gelehrten verließen. Könnten sie es selbst lesen, so die Vorstellung der atheistischen Missionare, würden sie es zurückweisen.

Überflüssig zu sagen, dass in beiden Fällen die Erwartungen unerfüllt blieben.

Und wenn sich die atheistischen Heilserwartungen, Glaube verschwinde von selbst, wenn die materiellen Verhältnisse sich änderten, nicht erfüllen und der Irrtum offenbar wird, muss eben mit Zwang und Gewalt durchgesetzt werden, was nicht freiwillig passiert.

Kampf gegen die Religion ist in Wahrheit immer Kampf gegen religiöse Menschen.

Frei nach dem Stalin zwar fälschlich zugeschriebenen, dabei aber sehr passenden Zitat „Kein Mensch, kein Problem“ gilt: das „Problem“ der Religion lässt sich nur lösen, wenn man die religiösen Menschen beseitigt.  

Es sind Errungenschaften wie Rechtsstaat, Grundrechte und Gewaltenteilung, die, dass muss natürlich festgehalten werden, leider vielfach gegen den Widerstand auch sich auf Religion berufender Institutionen erkämpft werden mussten, die uns davor schützen, in Unfreiheit, Gewaltherrschaft und Barbarei zu stürzen und die wir entsprechend engagiert verteidigen müssen.

Zu ihren Feinden zählen dabei auch Religionsgegner*innen, die im Gewande der Aufklärung daherkommen.

In diesem Sinne wünscht Euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.