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"Was ist das Leben eines Menschen wert?"

Kaan Orhon
19.06.2015

Bismillah

Gedanke zum Freitag: Heute von Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (dass es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte.“ ((al-Maida))

Die Ermordung von neun Menschen in der Kirchen Mother Emanuel in Charleston sind er unmittelbare Anlass für diese Zeilen und die Auswahl des Verses. Aber es hätte auch ein anderes Verbrechen vergleichbarer Natur sein können an irgendeinem anderen Ort, denn die Kette solcher Taten reißt nicht ab. So wie viele Menschen nun fordern, von dem Mord von Charleston nicht als isolierte Tragödie zu sprechen sondern im viel größeren und älteren Kontext von rassistischer Gewalt in den USA, müssen auch wir hier uns im Verfolgen dieser und ähnlicher Nachrichten grundlegendere Fragen stellen.

Was ist das Leben eines Menschen wert?

Allah der Erhabene, der Schöpfer der Menschheit, erhebt das Leben eines Menschen symbolisch auf den Wert der ganzen Welt.

Wenn wir dies so annehmen, muss die nächste Frage sein – wieso ist dem dann nicht so?

Zu groß ist die Bereitschaft Vieler, das Leben ihrer Mitmenschen herabzuwerten, bis ihr Sterben keinerlei Bedeutung mehr hat. Überall auf der Welt, über die Grenzen von Ländern, Religionen,  Kulturen und politischen Systemen hinweg sind Ideologien der Ungleichheit schnell bei der Hand, die als Rechtfertigung für Taten wie in Charleston herhalten.

Weltbilder werden erzeugt, die das Ermorden schutzloser älterer Menschen im Gebet in ihrer Kirche nicht nur rechtfertigen, sondern „notwendig“ machen. Das gleiche Weltbild haben, mit geringfügigen, letztlich bedeutungslosen, Variationen alle die solche Verbrechen begehen. Der Mord an drei muslimischen Studierenden in Chapell Hill im benachbarten Bundesstaat North Carolina liegt noch nicht lange zurück. Kurz davor, Ende 2014, der Mord an betenden Juden in einer Synagoge in Jerusalem. In kürze jährt sich das Massaker von Srebrenica zum 20. Mal und im vergangenen Jahr wurde ein Völkermord an den Jesiden im irakischen Şengal. Ich will die Aneinanderreihung von Beispielen hier beenden, ihrer sind zu viele.

Dann stellt sich die nächste Frage: Wie damit umgehen, wie darauf reagieren?

Die einzig angemessene erste Reaktion ist Trauer und Anteilnahme für jene, die Opfer solcher Verbrechen werden, und ihre Angehörigen.

Dann, noch bevor man darauf verweist, dass der oder die Mörder nicht für die ganze Gruppe stehen, aus der sie stammen, egal ob dies eine religiöse, ethnische oder soziale Gruppe ist, sollten wir innehalten und uns selbst fragen, was unsere Rolle in der Entstehung solcher Weltbilder und Systeme ist, die die Täter ihren Taten zu Grunde legen.

Natürlich sind wir als Individuen und wie gesagt als Gruppe nicht „schuld“ an der Tat. Aber wir sind nicht losgelöst von Systemen und Ideologien der Ungleichheit die Nährboden für solche Taten sind. Es können verhältnismäßig kleine Dinge in unserem Denken, unserem Verhalten, unserer Sprache sein, die andere Menschen abwerten, die ihre Gleichwertigkeit mit uns und im Sinne des Verses am Anfang, ihren unermesslichen Wert der sich allein aus ihrer Menschlichkeit ergibt, in Frage stellen.

Rassismus, so rufen jene, die sich gegen ihn engagieren, immer wieder ins Gedächtnis, ist mehr als die aktive feindselige Handlung oder Aussage gegen einen Menschen einer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit. Dies gilt ganz genauso für Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus und der gleichen mehr.

Wir werden Ereignisse, Verbrechen wie das von Charleston nie gänzlich beseitigen können. Die Gewalt, das Blutvergießen liegen zu tief im Wesen des Menschen selbst. Schon die Engel, so berichtet uns die Sure al-Baqara, wussten darum, als Allah verkündete, den Menschen als Statthalter auf Erden einzusetzen. Doch im selben Vers verkündet unser Schöpfer, dass Er weiß, was sie nicht wussten. Wir haben die Möglichkeit, uns über dies zu erheben und dem Wert, den wir alle als Menschen besitzen, gerecht zu werden.
Allah der Erhabene wies die Engel an, sich vor Adam – Allahs Frieden auf ihm – nieder zu werfen, als Beweis seines Wertes.
Wir, die wir von ihm stammen, können und müssen in unserem Denken, Sprechen und Handeln einen Unterschied machen, und sei er auch vermeintlich noch so klein, um andere Menschen nicht ihrer Würde und Freiheit zu berauben, sondern sie als das zu schätzen, was sie sind:

uns gleichwertig, so viel wert wie die ganze Welt.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag, ein schönes Wochenende weiter einen gesegneten Ramadan.