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"Was uns ausmacht" - Gedanke zum Freitag

Kaan Orhon
31.10.2014

Bismillah

Gedanke zum Freitag

Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„Oder wurde ihm nicht kundgetan, was auf den Blättern Mūsās steht und Ibrāhīms, der (seine Pflichten) erfüllte? (Nämlich,) daß keine lasttragende (Seele) die Last einer anderen auf sich nehmen wird und daß es für den Menschen nichts anderes geben wird als das, worum er sich (selbst) bemüht, daß sein Bemühen gesehen werden wird, daß ihm hierauf nach vollem Maß vergolten wird…“ ((an-Nagm:36-41))

Was haben wir in der letzten Zeit nicht alles gehört und gelesen über vermeintliche Stammeskämpfe und Religionskriege vom Irak bis nach Hamburg: von Krawallen zwischen „Kurden und Muslimen“ war die Rede, Sunniten gegen Schiiten, Araber gegen Kurden, Palästinenser gegen Juden.

Eine unmenschliche Art zu reden und zu denken, die der islamischen Ethik widerspricht, weil sie der urislamischen Vorstellung von der persönlichen Rechenschaft des freien Individuums vor Gott Vorstellungen von Kollektivschuld gegenüber setzt und tribalistischen Blutfehdeprinzipien, die längst überwunden gehört hätten, neues Leben einhaucht.

Wenn wir für die Handlungen von Individuen und Gruppen mit politischen Motiven deren Herkunft, Kultur oder Religion verantwortlich machen, rechtfertigen wir implizit, wenn diese Taten anderswo an Menschen „gerächt“ werden, die der selben Gruppe angehören.

Jeden Tag werden Muslime in der einen oder anderen Art Opfer dieser Denkweise, wenn sie für im Namen unserer Religion begangene Verbrechen „büßen“ müssen, von Beleidigungen auf der Straße bis zu brennenden Moscheen und Morden. Es verloren schon Menschen ihr Leben, nur weil sie durch ihr Aussehen bei ihrem Mörder den Eindruck erweckten, sie seien Muslime: dunkle Haut, fremde Sprache, ein Sikh-Turban. Nicht nur, dass der Glaube als Todesurteil ausreicht, schon eine falsche Zuschreibung zu diesem Glauben aus rassistischen Motiven kann als Grund für einen Mord herhalten.

Aber dieses krankhafte Denken „funktioniert“ in alle Richtungen nur all zu gut. Zu hören was manch ein in unserem Land aufgewachsener, eigentlich intelligenter Mensch über „die Deutschen“ sagt, treibt einem die Tränen in die Augen. Die „Ethnisierung“ der Religion, die etwa bei der Schlagzeile „Kurden gegen Muslime“ zurecht kritisiert wurde, existiert auch in anderen Variationen und ist aus zu vielen Köpfen noch nicht verschwunden. „Der Westen“ ist ein anderes Beispiel; der erste Schritt auf dem Weg, das Ermorden des eigenen Nachbarn zu rechtfertigen, weil der Steuern bezahlt. Aber es geht nicht nur um „den Westen“ oder „die Juden“, es gibt unendlich viele Feindbilder zu pflegen: „die Araber“ haben „die Türken“ im ersten Weltkrieg verraten; „die Araber, Türken und Perser“ haben „die Kurden“ schon immer unterdrückt etc. etc.

Das Gegengift für all das liegt in den grundlegenden Prinzipien des Islam, den niedergeschriebenen und vorgelebten. Das Verständnis des Eingangsverses, dass jeder Mensch bei der Abrechnung für sich selbst haftet, dass unsere Absichten und Entscheidungen unsere Entscheidung sind und kein anderer Mensch für sie haftbar gemacht werden kann. Das Beispiel der frühen Muslime, welches lehrt, dass Kultur, Sprache, Herkunft, Abstammung, soziale Schicht und auch nicht die Religion als solche moralische Werte sind sondern nur gute Werke und guter Charakter unseren moralischen Wert als  Mensch bestimmen.

Dieser Geist äußert sich allerdings nicht in dem kruden „Antinationalismus“ einiger, die die Pflege von Kultur und Identität oder die emotionale Bindung an eine „Heimat“, welche Vorstellung das Individuum auch immer davon hat, als Mangel an Glauben auffassen und mit Begriffen wie Fitna oder 'Asabiyya um sich werfen.

Der Reichtum und Wert der islamischen Prinzipien wie Geschwisterlichkeit und Einheit wird dadurch ausgemacht, verschiedene Menschen im Guten zu verbinden, und nicht die Vielfalt zu beseitigen. Es ist nur wichtig, sich selbst stets daran zu erinnern, dass solche Dinge nur einen Teil unserer Identität als Individuum ausmachen und dass sie nicht soweit unser Handeln bestimmen, dass wir vom Recht abweichen. Am Ende werden wir alle auf uns allein gestellt zu unserem Schöpfer zurück gebracht und darüber Rechenschaft ablegen, was wir getan haben.

Möge Allah der Erhabene uns vor schädlichem Denken schützen, möge Er uns helfen unsere Schwächen zu überwinden und uns helfen, rechtschaffen zu handeln. Möge Er am Tag der Abrechnung zufrieden sein mit dem, was mir vorrausschickten. Amin.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.