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Das Grundgesetz und seine Mütter

23.05.2012

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist 63 Jahre alt. Mit der Präambel „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen […]“ wurde am 23. Mai 1949 das Grundgesetz verkündet, welches als  Fundament der Bundesrepublik Deutschland dient. Konrad Adenauer, der damalige Präsident des Parlamentarischen Rats bezeichnete diesen historischen Moment als „ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes.“ Doch wie entstand das Grundgesetz? Warum heißt es „Grundgesetz“ und nicht „Verfassung“? Und wer sind die sogenannten „Mütter des Grundgesetzes“?

Das Grundgesetz (GG) bildet die rechtliche und politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es besteht aus 146 Artikeln. Darunter beziehen sich 19 Artikel auf die Grundrechte des Menschen (Art. 1-19).

Nach dem 2. Weltkrieg wollten die westlichen Alliierten ein Deutschland errichten, das politisch und wirtschaftlich stabil ist, um dieses v.a. als Bundesgenosse auf ihre Seite gegen die Sowjetunion zu ziehen („Kalter Krieg“).  So wurden die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungsgebiete damit beauftragt, eine Verfassung für einen Weststaat zu konzipieren. Dafür wurde der Parlamentarische Rat gebildet, der am 1. September 1948 in Bonn mit 65 stimmberechtigten Abgeordneten seine Arbeit aufnahm. Die Herausforderung war groß: Die Weimarer Republik war gescheitert und das Leid durch den Nationalsozialismus war noch sehr frisch.
 

Der provisorische Staat

Nach Ende des Krieges strebten die Alliierten einen deutschen Einheitsstaat an, welcher durch die ideologischen Gegensätze der Siegermächte nicht realisiert werden konnte. Aufgrund dessen sollte die Verfassung zunächst einen provisorischen Charakter haben. Um dies zu kennzeichnen wurde sie nicht „Verfassung“, sondern „Grundgesetz“ genannt und dies wurde deshalb nicht von einer Nationalversammlung, sondern von einem Parlamentarischen Rat ausgearbeitet. Damit das GG nicht als endgültig  wirken sollte, gab es keine Volksabstimmung. Nach Wiedervereinigung wollte man sich auf eine neue Verfassung für das vereinte Deutschland einigen.
Am 8. Mai 1949 wurde das GG mit 53 zu 12 Stimmen vom Parlamentarischen Rat verabschiedet und fand mit der Zustimmung der Westalliierten seine Gültigkeit. Als am 3. Oktober 1990 die DDR und BRD wieder vereint waren, wurde das GG übernommen, weil es die westlichen Grundentscheidungen wie Bundesstaat, Sozialstaat, Republik und Demokratie beinhaltete.
 

Die Mütter des GG

Unter den 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, gab es vier Frauen, die für die Verankerung des Schutzes von Familie und Ehe und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gekämpft haben. Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel verdankt die Bundesrepublik den Absatz 2 des Artikels 3 „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ Diesem gingen viele Diskussionen voraus, da es zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit darstellte.

Frieda Nadig (SPD) gehörte dem Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates an und war von 1949 bis 1961 Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Sie setzte sich zusammen mit Helene Weber (CDU) für Lohngleichheit zwischen Mann und Frau ein. Ihr Einsatz war jedoch ohne Erfolg.
Des Weiteren plädierte sie für die Gleichstellung von unehelichen und ehelichen Kindern. Auch hier musste sie sich auf viele Diskussionen mit ihren männlichen Kollegen einlassen. Doch diesmal gelang es ihr Art. 6 Abs. 5 in das GG einzuführen, in dem  es heißt: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“
Sie kämpfte konsequent für die Umsetzung des Gleichberechtigungsartikels. Deshalb bemühte sie sich um eine Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Hinzu kommen die Abschaffung des „Letztentscheidungsrechts“ des Ehemannes bei ehelichen und familiären Angelegenheiten (1957), Fragen der Sozialordnung und das Staatsbürgerrechts für Frauen, die Ausländer heiraten. Gleichzeitig kümmerte sie sich um die Not der vertriebenen Deutschen und um die Kriegsopfer.

Elisabeth Selbert (SPD) war eine Juristin, die sich für ein unabhängiges Rechtswesen einsetzte. Sie forderte ein oberstes Gericht zur Kontrolle der politischen Gremien, wodurch das Bundesverfassungsgericht entstand. Außerdem formulierte sie den Gleichheitsgrundsatz und verlangte die Aufnahme dessen in das GG.
In den Verhandlungen musste sie zunächst Frieda Nadig überzeugen. Die beiden Frauen Helene Weber und Helene Wessel, sowie die restlichen Mitglieder des Parlamentarische  Rats bevorzugten die Formulierung der Weimarer Verfassung: „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. So wurde die Formulierung Selberts vom Grundsatzausschuss und anschließend vom Hauptausschuss abgelehnt. Daraufhin initiierte sie zusammen mit dem Frauensekretariat der SPD, den überparteilichen Frauenverbänden, Kommunalpolitikerinnen und weiblichen Berufsverbänden, öffentliche Proteste. So konnte sie den Parlamentarischen Rat überzeugen und der Gleichheitsgrundsatz wurde im GG verankert. Die Konsequenz für sie war jedoch, dass es zu einem Bruch mit der Partei kam, weshalb sie sich aus der Politik und dadurch vom Hessischen Landtag zurückzog.

Helene Weber (CDU) studierte Romanistik, Philosophie, Volkswirtschaft und Geschichte. Sie war Mitglied im Ausschuss für Wahlrechts- und Grundsatzfragen. Zudem war Weber im Präsidium des Parlamentarischen Rats als Schriftführerin tätig und von 1949 bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 war sie Mitglied des Deutschen Bundestags und beteiligte sich auch in europäischen Gremien. Darüber hinaus hatte sie viele Leitungsämter in der katholischen Frauenbewegung inne. Hinzu kommt der Vorsitz im Muttergenesungswerk und in der CDU-Frauenunion, die sie mitgründete.
Ihr Hauptthema war der Schutz von Ehe und Familie und Elternrecht (Art. 6 und 7). So organisierte sie in diesem Rahmen viele Petitionen, mit der sie den Parlamentarischen Rat erreichte. Auch sie setzte sich wie Frieda Nadig für Lohngleichheit zwischen Mann und Frau ein, jedoch ohne Erfolg. Außerdem kämpfte sie zusammen mit Helene Wessel für den Art. 6 Abs. 4 des GG: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“

Helene Wessel (Zentrumspartei) setzte sich ebenso wie Helene Weber für die Ehe und Familie ein. In der Nachkriegszeit stiegen die Scheidungsraten an, es gab viele ledige Mütter und „unvollständige Familien“, weshalb sie sich für einen besonderen Schutz des Staates für Ehe und Familie aussprach. So sollte dies auch im GG festgeschrieben werden. Deshalb kämpfte sie für die Verankerung des Art. 6 Abs. 4: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“.
Wessel lehnte die Endabstimmung des GG am 8. Mai 1949 ab, weil sie zur Kennzeichnung des  demokratischen Staats, für eine Volksabstimmung war. Außerdem forderte sie die Formulierung des Elternrechts als Naturrecht. Auf Grund dessen verweigerte sie aus Gewissensgründen ihre Zustimmung für das Grundgesetz.
1951 gründete Wessel zusammen mit Gustav Heinemann die „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“, die später zur Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) werden sollte.  Nach der Auflösung der Partei im Jahr 1957, trat sie der SPD bei.

Jede dieser vier Frauen kämpfte für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, für den Schutz von Ehe und Familie und für das Engagement der Frauen in der Politik. Sie bemühten sich mehr Frauen für die Politik zu begeistern. Einerseits appellierten sie an ihre männlichen Kollegen, dass Frauen auch in der Politik tätig sein können und andererseits an Frauen, die politisch mehr wagen sollten.

Von: Feride Celik