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Zum Anschlag in Paris

Kaan Orhon
07.01.2015

Schon wenige Tage nach dem Beginn des neuen Jahres werden wir wieder Zeuge eines Aktes der Barbarei, der im Namen des Islam begangen wird. Es gab keine Hoffnung, dass die Kette abartiger Grausamkeiten, die im vergangenen Jahr Brüssel, Ottawa und Sydney traf, und die für Menschen in Syrien, im Irak und anderswo schrecklicher Alltag ist, in 2015 plötzlich abreißen würde. Und doch lässt es uns fassungslos und voll Trauer zurück. Und voller Furcht bei der Frage, wann es unser Land treffen wird.

Irgendwann, wenn der Schrecken und die Trauer über ermordete Menschen und zerstörte Familien nachlässt, wird sich uns wieder mit neuem Nachdruck die Frage stellen, was wir tun sollen, tun können. Es berührt uns, es berührt uns als Menschen aber es berührt uns noch mehr als Muslime. So wenig an lebendigem Islam, islamischen Werten und Regungen in diesen Unmenschen vorhanden sein mag, so ist es dennoch ihr Anspruch, unsere Religion für sich zu besetzen. 

Wir sind der Feind, ihr Feind. Nicht weniger als die Menschen, die heute in Paris ermordet wurden. Unser Islamverständnis und ihres können niemals nebeneinander existieren. Wir sind vor wenigen Tagen in Dortmund zusammen gekommen und alles was wir dort getan, gesagt und gedacht haben, ist Sünde für diese Menschen und macht uns zum Feind: Interreligiöser Dialog, politische Partizipation, in Parteien oder anders, Dass einige der dort versammelten Studentinnen und Akademikerinnen Kopftuch tragen und andere nicht, dass wir verschiedenen Konfessionen, Rechtsschulen, Denkrichtungen angehören. Alles schon Rechtfertigung genug uns zu ermorden, so wie die Menschen in Paris ermordet wurden, wie Menschen in Syrien und im Irak ermordet werden.

So ist es in diesem Fall ohne Bedeutung, was wir davon halten, was Charlie Hebdo in der Vergangenheit getan hat. Denn es ist auch für die Mörder ohne Bedeutung, wären es nicht die Angestellten des Magazins gewesen, wäre es jemand anders gewesen, es lässt sich für solche Menschen immer eine Rechtfertigung dafür konstruieren, andere Menschen zu ermorden. Sie ließe sich genauso leicht konstruieren, um uns zu ermorden aufgrund der oben geschilderten und anderer Dinge. Die, die sich dieser Ideologie verschrieben haben, stehen auf der einen Seite eines unüberwindbaren Grabens und wir – gemeinsam mit den Ermordeten – stehen auf der anderen. 

Und so ist die größte Gefahr nicht, dass man uns jetzt noch mehr in der Bahn anstarrt. Nicht, dass nächsten Montag noch tausend Leute mehr bei PEGIDA mitmarschieren. Sondern dass der „Islam“ dieser Menschen weiter gedeiht, dass er zu uns kommt, noch mehr als bisher. Dass er weiter in muslimischen Ländern Massen von Menschen umbringt, versklavt, vertreibt, dass er weiter unsere eigenen, muslimischen zivilisatorischen Zeugnisse unwiederbringlich zerstört und überall nur eine Wüste hinterlässt. Eine kulturelle und eine seelische Wüste, nicht nur in Syrien und dem Irak, auch in Pakistan, in Mali, in Libyen, in Afghanistan, in Nigeria, in Somalia…

Dieses Bewusstsein sollte uns beseelen und antreiben unsere Arbeit weiter zu machen, als Teil des Kampfes gegen diese Menschen und ihre perverse, unmenschliche Ideologie. 

Doch zunächst denken wir an die Opfer