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Erfahrungsbericht der Ersten Andalusienreise

18.09.2011

„Granada hat nicht seinesgleichen, weder in Ägypten noch in Syrien noch im Irak. Es ist die geschmückte Braut und diese Länder sind seine Mitgift“, heißt es in der arabischen Dichtung. Wer Ġarnāṭa erlebt und sich die Sinne von seiner Schönheit hat rauben lassen, wird dieser Aussage zweifelsohne zustimmen. Wem die qaṣr al-ḥamrāʾ Eintritt in ihre Gemächer gewährte, der wird sie gewiss wieder aufsuchen, sobald die Sehnsucht nach ihr unerträglich wird und wen der Duft der Rosen im Ǧannat al-ʿĀrif in seinen Bann zog, dessen Herz wird keinen Trost finden in den Gärten fernab dieser wundervollen Oase.

Aus Ġarnāṭa mag Granada geworden sein, aus Išbīliya Sevilla und aus Qurṭuba Córdoba, doch der Zauber des Maurischen Spanien liegt noch immer in der Luft Andalusiens.

 

Am 24.09.2009 machten wir uns auf, Zeugen dieses Zaubers und des „Goldenen Zeitalters der convivencia“, des Zusammenlebens zwischen Juden, Christen und Muslimen auf der Iberischen Halbinsel, zu werden. 33 Studierende und Akademiker, auf den Spuren ihrer Ahnen, erreichten nach einer fast 30-stündigen Busfahrt Granada und legten den Grundstein für einen unvergesslich schönen Aufenthalt im Reich der Nasriden.

Empfangen wurden wir von ʿAbdu l-Hādī (siehe Foto). Er sorgte für die Verpflegung und ließ für seine Schützlinge aus Deutschland Köstlichkeiten aus der arabischen, nordafrikanischen und spanischen Küche zubereiten. So genossen wir in seinem «Dar Baraka» tagtäglich Speisen wie Paella, Ṭāǧin, Ḥarīra, Šāwarmā oder Falāfel, stärkten uns bei einem Glas süßem «Šāy bi Naʿnāʿ» für die Besichtigungen der historischen Ortschaften, zu denen er uns stets begleitete, oder erholten uns von einem anstrengenden Tag und ließen die vergangenen Stunden revuepassieren.

Einen Höhepunkt der Studienreise stellte der Besuch der al-ḥamrāʾ(Alhambra) und des Ǧannat al-ʿĀrif (Generalife), einer der einst mit der Alhambra verbundenen ältesten uns erhaltenen maurischen Gärten, dar.

Seit Jahrhunderten wacht „Die Rote (Festung)“ über der Stadt, fasziniert Touristen aus aller Welt und findet Erwähnung in zahlreichen Büchern. In einem dieser Werke heißt es:

"Es gab viele Häuser und Paläste, zu allen Zeiten, die ihr eigenes Gesicht hatten. Doch es gab nur ein Bauwerk, das selbst Musik ist: die Alhambra. Wer in einer Mondnacht durch ihre Gärten und Hallen wandert, dem erklingt diese Musik, und sie verdichtet sich zu einem Konzert: das Lied der Brunnen, das Raunen und Brodeln aus unterirdischen Kanälen, dazu die Harfentöne des Windes in Büschen und Bäumen. Wenn das Mondlicht die filigranen Säulen und rauschenden Wasser versilbert, strahlt noch Stille, erwacht Geschichte, und die Löwen des jüdischen Wesirs speien grimmig das Element, das einen Schimmer der Ewigkeit spiegelt. […] Noch immer aber überziehen im kostbaren Stuck die geheimnisvollen Arabesken die Wände der verwunschenen ›Herberge der Vergänglichkeit‹, wie ein
arabischer Dichter sie pries, die das Schlüsselwort mehr verbergen als erkennen lassen: Es gibt keinen Sieger außer Allāh."

 

Während wir mit ʿAbdu l-Hādī Granada und seine Vororte besichtigten, brannte sich insbesondere ein Name in unser Gedächtnis ein, «Bab al-Ramla». Als wir diesen Ort der Entwurzelung, an dem etliche Bücher, Zeugnisse islamischer Gelehrsamkeit auf der Iberischen Halbinsel, verbrannt wurden, auf uns wirken ließen, kamen uns Persönlichkeiten wie Ibn Rušd und Ibn Ḥazm, beides Söhne Córdobas, oder Ibn Ḫaldūn, der im Dienste Muḥammad V. in Granada weilte, in den Sinn.
Über Bücherverbrennung sagte Ibn Ḥazm einst:
«Auch wenn ihr das Papier verbrennt, so werdet ihr doch nicht das verbrennen können, was es enthält, da ich es in meiner Brust trage...»

Eigens für die Referate, die wir während unseres Aufenthaltes in Andalusien hielten und die uns die nötigen Basics über die islamische Urbanisierung von Granada, Córdoba, Sevilla, die Architektur, die Hispano-Arabische Dichtung, die Naturwissenschaften, die Geschichte der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Literatur u.ä. lieferten, stellte uns die Moscheeführung der Mezquita Mayor de Granada ihren Konferenzraum zur Verfügung. Wie in ganz Europa ist auch in Granada ein Zuwachs in der islamischen Community zu
konstatieren. So begegneten wir beim Freitagsgebet vielen Konvertiten und waren beim gemeinschaftlichen ḏikr, durch das die Gemeinde nach dem Maġrib-Gebet den Tag ausklingen lässt, zu Tränen gerührt.
Des Weiteren hatten wir die Ehre, einem 85-jährigen Bruder im Islam zu begegnen, der für uns seinen letzten Vortrag über die Alchemie hielt und wenige Tage nach unserer Abreise verstarb.

 

Āʾiša, eine junge Frau, die ihrer Heimat Amerika und ihrem dortigen Leben, das einst vom Feminismus bestimmt war, den Rücken kehrte und in Granada ein neues Zuhause fand, bereicherte am selben Abend unser Leben mit einem Vortrag über andalusische Frauen. Anschließend tranken wir im «Café von Layla», einer ebenfalls zum Islam konvertierten Frau spanischer Herkunft, marokkanischen und pakistanischen Tee.
Die Wehmut, die sich zuvor in der Alhambra ankündigte, legte sich in der Mezquita de Córdoba wie ein unsichtbarer Schleier über uns.
Unter der Herrschaft ʿAbd ar-Raḥman I. wurde im Jahre 785 mit dem Bau der Moschee begonnen und 200 Jahre später, nach zahlreichen Erweiterungen, sollte sie zu den Meisterwerken der frühislamischen Architektur zählen. Der Miḥrāb in Form einer achteckigen Kapelle, der beeindruckende Säulensaal mit seinen mehr als 600 Säulen, die auf einer Fläche von 1,5 ha unzählige Schiffe stützen8 und die komplexe, meisterhaft ausgeführte Kuppel mit prachtvollen, goldgrundigen Mosaiken bedeckt, entziehen dem Besucher im eigentümlichen Dämmerlicht jegliches Gefühl für Dimension und Zeit.
Bereits beim Betreten der Mezquita, die seit der Reconquista der Stadt eine römisch-katholische Kathedrale beherbergt, werden wir ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Beten dort für Muslime verboten sei.

 

Abd ar-Raḥman I. verdanken wir nicht nur die Flügel der Mezquita, sondern auch das schattige Grün der Granatapfelbäume und das leuchtende, durchsichtige Rot seiner Früchte. Er war es, der vor eintausendzweihundert Jahren Palmen und Granatapfelbäume aus Syrien bringen ließ, um sich in Córdoba ein Abbild von Damaskus zu schaffen. Er ließ außerhalb Córdobas einen Palast errichten, der demjeniegen, in dem er seine Kindheit verbrachte, ähnlich war. Um einen vertrauten Raum der Erinnerung zu haben, gab er ihm den selben Namen, al-Rufasa. In folgenden Versen kommt seine Sehnsucht nach Syrien deutlich zum Ausdruck:
«In al-Rusafa betrachtete ich eine Palme,
im fernen Abendland ihrer Heimat beraubt.
Ich sagte ihr: Wir beide sind in einem fremden Land.
So lange schon bin ich getrennt von Meinen!
Du bist in einem Land aufgewachsen, wo du fremd bist,
und, wie ich, lebst du im abgelegensten Winkel der Welt.
Die Wolken des Morgengrauens mögen dir in diesem fernen Land kühle Frische bringen.
Mögen die häufigen Regenschauer dir immerfort Trost sein.»

 

Etwa fünf Kilometer nordwestlich von Córdoba liegt Madīnatu ʾz-Zahrāʾ, «die Stadt der Strahlenden», die ʿAbd ar-Raḥman III. für eine Favoritin mit dem Namen Zahrāʾ erbauen ließ. Leider schafften wir es zeitlich nicht mehr, die einstige Palaststadt von Nahem zu besichtigen und blieben zunächst vor verschlossenen Türen stehen. Dann aber gewährte uns der Wächter Eintritt, so dass wir einen kurzen Blick auf die Ruinen erhaschen konnten, die selbst in ihrem jetzigen Zustand sehr erhaben wirken.
Ein weiterer Königspalast, den wir besichtigten, ist das Alcázar von Sevilla. Er spiegelt die für al-Andalus typische Verschmelzung von Kulturen und Religionen wider und ist ein bezauberndes Beispiel für die Mudéjar-Architektur, d.h. unter christlicher Herrschaft entstandener Bauten mit islamischem Einfluss.

Abdu l-Hādī versäumte es nicht, uns gegen Ende unserer Reise auch an jenen Ort zu führen, der den Namen El suspiro del moro trägt. Auf eben dieser Passhöhe südlich von Granada soll Abu ʿAbd Allāh, der im Januar 1492 den Katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón die Schlüssel Granadas übergab, einen letzten Blick auf Granada geworfen und einen
Seufzer ausgestoßen haben. Von seiner Mutter ist der Ausspruch überliefert: «Was jammerst du wie ein Weib über den Verlust der Stadt, die du als Mann nicht zu verteidigen wusstest?»

Ob Anhänger des taṣauwuf, ob von der šīʿa oder der ahl as-sunna, ob schwarz, weiß, Mann oder Frau, in Andalusien wuchsen deutsche Muslime mit kurdischem, iranischem, arabischem, türkischem und afrikanischem Migrationshintergrund ungeachtet der Hautfarbe, des Geschlechts, der Nationalität und der Rechtsschule zusammen und stärkten gemeinsam ihr Bewusstsein für ihre
eigene, islamische Geschichte. Wir fanden nicht nur Geschwister im Islam, sondern gute Freunde und Verbündete in unseren Weggefährten. Der Aufenthalt in Andalusien pflanzte die Liebe zueinander, zu Ġarnāṭa und Qurṭuba und zur Mezquita und al-ḥamrāʾ in unsere Herzen, so dass uns der Abschied sehr schwer fiel.

Wie einst Ibn Ḥazm al-Andalusī in seinem Werk „Halsband der Taube” sagte:
Wenn ich muss von dir scheiden,
Geh langsam ich und träg.
Wie ein Gefangener schreitet
Auf seinem Todesweg.
Doch wenn ich zu dir komme,
Dann eil ich unbeschwert,
Wie schnellen Laufs der Vollmond
Den Himmel überquert.
Schlägt mir die Abschiedsstunde,
Dann zaudr´ ich immerfort,
So wie der Fixstern droben
Nicht weicht von seinem Ort.
In Deutschland angekommen, wurde der Kontakt aufrecht erhalten und wird noch immer gepflegt.
Wir stehen alle in regem Austausch miteinander und planen, in naher Zukunft gemeinsam zurückzukehren -in šāʾ Allāh.

In šāʾ Allāh auf ein baldiges Wiedersehen, yā al-Andalus,
Güzide Vurucu