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Anonymität des Internets

12.07.2013

ismillah

Gedanke zum Freitag
Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„Aber wenn Er sie gerettet hat, fangen sie sogleich an, ohne Recht auf der Erde gewalttätig zu handeln. Oh ihr Menschen, eure Gewalttätigkeit richtet sich doch nur gegen euch selbst.“
((Yunus:23))

Der Ramadan ist eine Zeit, in der wir mehr noch als sonst zu kritischer Selbstbetrachtung, zu einer ehrlichen Überprüfung unserer Taten und Worte angehalten sind. Was tun wir gutes für uns selbst, für unser Jenseits und unser Diesseits? Und was tun wir für andere Menschen, besonders für Arme, Schwache, Unterdrückte? Und ebenso sollten wir uns fragen, welche unserer Handlungen und Aussagen uns selbst oder anderen Menschen Schaden zufügen.

In obigem Vers warnt uns unser erhabener Schöpfer vor den Folgen der Gewalt. Gewalt wie wir sie auch in diesem Ramadan wieder vor Augen haben, vergangene und gegenwärtige, von Srebrenica bis Syrien. Zehntausende von Menschen werden in diesen Tagen des Ramadan, auf die wir uns so freuten, ihr Leben verlieren, ohne dass sie eine Schuld auf sich geladen haben, Millionen haben Heim und allen Besitz verloren und verbringen diesen Monat auf der Flucht. Der Erbarmer warnt uns, dass ein Menschenleben ohne Grund auszulöschen, so schwer wiegt, als habe man die ganze Menschheit getötet… dies sollte Anlass für größte Ehrfurcht vor dem Leben sein, doch was wir täglich sehen, spricht eine andere Sprache.

Uns in Deutschland mag diese Gewalt nur indirekt betreffen, wir sind weder unmittelbare Opfer noch Täter. Doch diese schlimmste Form von Gewalt kommt nicht aus dem Nichts, sie beginnt viel kleiner in Formen der Gewalt zwischen Individuen, mit kleinen Taten, oder auch nur mit verbaler Gewalt. Schon an diesem Punkt können und müssen wir bei uns und unserem Umfeld ansetzen. Immer wieder konnte man Zeuge werden in den Tagen vor Ramadan und zum Teil sogar bis jetzt noch, wie Dispute über den Beginn des Fastens in Streit ausarteten. Die vermeintliche Anonymität des Internets senkt dabei noch unsere menschlichen Hemmschwellen, Menschen die einander nicht kennen, nehmen eine Meinungsverschiedenheit über den Monat der Barmherzigkeit zum Anlass, einander Unterstellungen und Schimpfworte an den Kopf zu werfen. Die interessierte Frage eines Nicht-Muslims zum Fasten wird ob ihrer Formulierung als Angriff verstanden und mit einer entsprechenden Antwort bedacht.

Gewalt verliert sich nicht einfach, sie hinterlässt immer Spuren in uns, gleich ob sie gegen uns gerichtet ist oder ob sie von uns ausgeht, und sie hinterlässt Spuren in unserem Gegenüber. Natürlich kennt der Islam Fälle, in denen physische Gewalt notwendig ist, das kleinere Übel um größeres Unrecht abzuwehren. Aber sie darf niemals zur Normalität oder zum Selbstzweck werden; wird sie es doch, so wird sie sich letztlich immer gegen uns selbst wenden, und uns als Individuum und als Gemeinschaft zugrunde richten.

Möge Allah der Erhabene uns zu denen gehören lassen, die nicht ohne Recht gewalttätig sind, möge Er uns zu denen gehören lassen, die im Angesicht der Gewalt standhaft sind und zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden aufrufen!

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.