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Die Gräber des Euro-Islam - Gedanken zum Freitag

16.07.2021

Bismillah

 

„Die Gräber des Euro-Islam“ – Gedanke zum Freitag

Allah, der Erhabene, sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„Und gedenkt, als ihr wenige wart und auf der Erde unterdrückt wurdet und fürchtetet, dass euch die Menschen verschleppen würden! Da hat Er euch Zuflucht gewährt, euch mit Seiner Hilfe gestärkt und euch mit guten Dingen versorgt, auf dass ihr dankbar sein möget. …“   ((al-Anfal:26))

Seit etwa einem Jahrzehnt begehen wir in der RAMSA-Arbeit in der ersten Hälfte des Monats Juli zwei wichtige Daten mit Veranstaltungen, Aktionen, Publikationen etc.: den Tag gegen antimuslimischen Rassismus am 01. Juli und den Jahrestag des Massenmordes in Srebrenica als schrecklichen Höhepunkt des jahrelangen Genozids an den Muslim*innen in Bosnien-Herzegowina am 11. Juli.

Zwischen Beiden besteht nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine inhaltliche Nähe. Der Mord an der deutsch-ägyptischen Pharmazeutin Marwa El-Sherbini und ihrem ungeborenen Kind im Sommer 2009 war die Tat eines Einzelnen, die freilich aus einem umfassenden und weit verbreiteten System von gewalttätiger Menschenfeindlichkeit, gerichtet gegen muslimische Menschen, heraus erfolgte.

Der Genozid von Srebrenica veranschaulicht, was passiert, wenn die auch dem Mord an Marwa El-Sherbini zu Grunde liegende Ideologie sich der Mittel eines Staates bedienen kann. Vor knapp einem Monat wurde das Gerichtsurteil gegen einen Träger dieser Ideologie und Verantwortlichen für das Massaker in Srebrenica, Ratko Mladić, in letzter Instanz bestätigt. 26 Jahre nach dem Verbrechen. In der Berichterstattung über das Gerichtsurteil wurde gerne erwähnt, dass Mladić in Serbien noch immer manchen als Held gilt, dass der Völkermord dort noch immer vielfach geleugnet wird und eine gesellschaftliche Aufarbeitung nicht stattgefunden hat.

Das ist ohne Zweifel richtig. Aber es ist unangebracht, lediglich mit dem Finger auf Serbien zu zeigen, wenn gleichzeitig ausgeblendet wird, dass der Geist Mladićs, der Geist hinter dem Morden in Srebrenica in auch in unserem Land noch Anhänger hat.

Eine Partei, die diesen Geist teilt, sitzt im Bundestag und in jedem deutschen Landtag. Die Partei, die erklärt, den Islam in den Worten von Björn Höcke hinter den Bosporus zurück drängen zu wollen, also ihn in Europa auszulöschen.

Es ist ein anderer zynischer Fall zeitlicher Nähe, dass der bis heute teilweise zu hörende bzw. zu lesende Begriff des „Euro-Islam“ Anfang der 1990er Jahre in die gesellschaftliche Diskussion eingeführt wurde. Also just, als der Völkermord an den Muslim*innen auf dem Balkan begann.

Davon was „Euro-Islam“ im Detail sein soll, gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen. Verbreitet ist jedoch die Vorstellung, ein Euro-Islam sei ein „liberaler“ Islam; in Abgrenzung zu einem dementsprechend nicht liberalen arabischen, asiatischen oder afrikanischen – in jedem Fall also fremdem – Islam. Ein Islam, der nicht deutlich präsent ist durch das Verhalten der Menschen, die ihm anhängen, durch Kleidung, durch religiöse Rituale oder Bauten. Ein solcher Islam müsse sich entwickeln, damit die Probleme mit der Integration von Muslim*innen in Europa gelöst werden könnten, heißt es.

Nun gab es natürlich nicht nur seit Jahrhunderten einen europäischen Islam - in dem Sinne, dass es autochthone Europäer waren, die ihm angehörten; sondern es gab sogar einen Euro-Islam in dem Sinne, dass vor allem in Ost- und Südosteuropa jahrzehntelange religiöse Verfolgung und Unterdrückung durch totalitäre anti-religiöse Systeme die Religion als sichtbaren Faktor im Leben der Menschen stark zurückgedrängt hatten.

Religiöse Rituale im Alltagsleben, sichtbar religiöse Kleidung und ähnliches waren kaum zu bemerken, religiöse Organisationen mit gesellschaftlichem oder politischem Einfluss unterdrückt, die Religion vielfach, wie es heißt, auf Geburten, Hochzeiten und Todesfälle beschränkt.
Je nach Sichtweise kann man das begrüßen oder beklagen, aber, dass es so war, ist Tatsache.

Nur „geholfen“ hat es den muslimischen Europäer*innen, die in den Jahren der Balkan-Kriege zu zehntausenden ermordet und vergewaltigt wurden, nichts. Die Mörder wie Mladić fragten nicht nach persönlicher Religiösität, nach Zugehörigkeit zu religiösen Organisationen oder nach islamistischen Einstellungen, als es ans Töten ging.

Die Familie, in die man hineingeboren worden war, der Name den Mann trug genügten, um den Tod zu verdienen.

Berühmt geworden ist Mladićs Satz vor dem Beginn des Mordens: „Nun ist die Zeit gekommen für die Rache an den Türken an diesem Ort.“ Mladić machte Kraft seiner auf Gewalt basierenden Autorität aus den Bosniak*innen in ihrem eigenen Land Fremde. Und Fremde mussten beseitigt werden, denn es galt „sich sein Land zurückzuholen“ und „das Abendland zu verteidigen“.

Es geht immer nur um die Macht der Definition. Ob jemand zum Ziel wird, liegt nicht in seinem eigenen Verhalten begründet, sondern in der Frage, was der Gewalttäter in ihm oder ihr sieht. Das ist wichtig im Kopf zu behalten, wenn es etwa heißt, ein weniger sichtbarer, weniger „offensiver“ Islam würde weniger Ablehnung auslösen. Wer Kopftuch trägt, wer eine weithin sichtbare Moschee baut, der fordere Feindseligkeit ja quasi heraus…

Die Wahrheit ist, dass es nichts bedeutet, wie man sich beispielsweise kleidet, wenn es darum geht, nicht zum Opfer solcher Täter zu werden. Angriffe auf muslimischen Frauen in öffentlichen, etwa politischen Positionen, wie beispielsweise Aydan Özoğuz, Sawsan Chebli oder Cemile Giousouf haben das in der Vergangenheit veranschaulicht. Die für Aydan Özoğuz von Alexander Gauland vorgesehene „Entsorgung“ in Anatolien unterscheidet sich nur in einem von Ratko Mladićs Satz von der „Rache an den Türken“, nämlich dadurch, das Gauland die Mittel der physischen Gewalt fehlen, um seine Aussage in der Realität umzusetzen.

Nicht nur für Gauland und Höcke sondern auch für die vielen handlungsbereiteren Verehrer Ratko Mladićs wie etwa Brenton Tarrant sind Konzepte wie „Euro-Islam“ und Unterscheidungen in liberal und konservativ bedeutungslos. Das Denkmal ihrer Vision von Euro-Islam ist der Gräberwald von Potočari.
Sie haben sie in der Vergangenheit Realität werden lassen. Jede und jeder von uns ist gefordert, die Erinnerung daran wachzuhalten, damit es ihnen kein weiteres Mal gelingt.

In diesem Sinne wünscht Euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.