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Die Mitte

Kaan Orhon
03.11.2017

Bismillah
„Die Mitte“ – Gedanke zum Freitag

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„Und so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht…“
((al-Baqara:143))

Jeder, der sich im Internet, in sozialen Medien bewegt, hat ein nicht unerhebliches Risiko, in kurzer Zeit eine beachtliche Zahl an Trollen anzusammeln, die sich dann und wann zum Mob zusammenrotten, um diesen Beitrag oder jenen mit einer Flut an ebenso hasserfüllten wie unqualifizierten Kommentaren zu überschwemmen.

Der RAMSA macht da keine Ausnahme. Dabei teilt sich die Masse im Wesentlichen in zwei Lager: die Islamhasser und die Anhänger randständiger Politsekten unter den Muslimen. Beide haben ihre Stichworte, ihre Fetische, die sie aus ihren dunklen Löchern heraus und in die Kommentarspalten locken. Stichworte sind hier z.B. Gebetsräume und (antimuslimischer) Rassismus, da Demokratie oder die persönliche Bekleidung von Menschen auf Fotos. Ich sage Menschen, richtiger wäre Frauen. Die Bessermuslime, die sich unter Veranstaltungsberichten und Vorstandsbildern mit dieser Kritik verewigen, äußern sich nie zu Hosen oder Hemden oder meinetwegen der Bartlänge von Männern. Nur unsere weiblichen Mitglieder und Gäste sind Gegenstand der Betrachtungen selbsternannter Moralpolizisten, nur ihr Glaube, Anstand etc. werden zur öffentlichen Pseudoanalyse freigegeben.
Aber das ist eigentlich Thema für einen eigenen Text in der Zukunft.

Der unmittelbare Umgang mit derlei Kommentaren ist unterschiedlich. Manche bemüht man sich unter Aufbietung großer Geduld sachlich und freundlich zu beantworten, manche ignoriert man und lässt sie stehen und manche, die bestimmte rote Linien des menschlichen Anstandes oder sogar der strafrechtlichen Relevanz allzu stark verletzen, löscht man.

Aber nimmt man sich darüber hinaus Zeit, die Dynamik des geistigen Ausflusses etwas genauer zu betrachten, fällt einem ein überaus interessanter Aspekt auf: die beiden Lager kommen sich nie ins Gehege. Wenn die Islamhasser, die AfDler, Identitären, Antideutschen, vermeintlichen Radikalaufklärer etc. außer sich sind, weil an einer Uni ein Raum der Stille eröffnet wird („Islamisierung!“) oder weil antimuslimische Schmierereien an einer Uni thematisiert werden („Opferhaltung!“), dann ist von den Verteidigern der Umma, den Tastaturmujahedin nichts zu sehen oder zu hören.

Wenn umgekehrt, wir einen Preis für demokratisches Engagement bekommen („Kufr“) oder einen Anschlag verurteilen („Spaltung der Umma“!), dann sind die Abendlandsverteidiger nirgendwo zu sehen.
Es wäre ja auch blöd, wenn sich in unserem Kommentarbereich Pegida und Antideutsche, Hizbut-Tahrir und Kalifatstaat in die Haare bekommen würden mit der Diskussion, ob wir nun Muslimbrüderagenten sind, die die Universitäten islamisieren, oder aber Murtadin, die einen liberalen Kuschelislam propagieren.

Man darf das eigentliche Ziel nicht aus dem Auge verlieren, und das Ziel von Extremisten sind niemals andere Extremisten, sondern immer die Mitte der Gesellschaft. Die Terroristen zielen nicht wirklich auf „Kreuzritter“ und die neuen und alten Nazis zielen nicht wirklich auf „Dschihadisten“, sondern immer und allzeit auf Unbeteiligte, denen sie selbst die Zugehörigkeit zur Feindbildgruppe zuschreiben.

Islamgegner und muslimische Extremisten und Ideologen sind zwei verwandte Parasiten, die den gesunden Baum der demokratischen, pluralen Gesellschaft von beiden Seiten zerfressen und zersetzen. Haben sie ihn erst genug ausgehöhlt, so wird er in eine Richtung fallen, und sie unter Umständen dabei zerschmettern. Doch das zu sehen sind sie unfähig bzw. unwillig. Wichtig ist nur, DASS der Baum fällt, dass die Gesellschaft fällt, die auch dem verhassten Anderen Schutz und Rechte gewährt.

Unsere Aufgabe ist, den Baum zu schützen und dafür zu arbeiten, dass er weiterwächst und Früchte trägt.
In diesem Sinne wünscht euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende

Heute von: Kaan Orhon, Islamwissenschaftler aus Göttingen und Mitglied des Ältestenrates