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Flucht und Vertreibung

Kaan Orhon
20.06.2014

Bismillah

Allah, der Erhabene, sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„Wenn ihr ihm nicht helft, so hat Allah ihm (schon damals) geholfen, als diejenigen, die ungläubig waren, ihn als einen von Zweien vertrieben; als sie beide in der Höhle waren und als er zu seinem Gefährten sagte: „Sei nicht traurig! Gewiß, Allah ist mit uns!“ „ ((At-Taube:40))

Heute ist Weltflüchtlingstag. Und während Fernsehbilder gerade wieder Hunderttausende von Menschen zeigen, die vor der Gewalt im Irak fliehen, teilen die Vereinten Nationen mit, dass es zum ersten Mal seit 1945 mehr als 50 Millionen Flüchtlinge gibt. Dazu gehören Menschen, die erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit auf der Flucht sind, in Syrien und dem Irak, in der Ukraine, in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan, im Kongo, in Burma… und es gibt Menschen, aus Bosnien, Palästina, Afghanistan oder der Westsahara, die seit vielen Jahren, seit Jahrzehnten, einige seit Generationen in Lagern oder eigentlich temporären Unterkünften ihr Dasein fristen, die die Hoffnung verlieren, jemals zurückkehren zu können, die sterben, ohne ihr Heim wieder zu sehen und die Traurigkeit und Not gemeinsam mit dem Status des Flüchtlings an ihre Kinder vererben.

Eine Woche vor dem Beginn des Ramadan lohnt es sich, diesen Tag und die aktuelle Not zum Anlass zu nehmen, um sich mit dem Aspekt Flucht und Vertreibung in der Geschichte der ersten Muslime zu beschäftigen. Das Studium der Sira gehört zu den vorzüglichen Aktivitäten im gesegneten Monat. Dabei können wir reflektieren, was das Schicksal der jungen muslimischen Gemeinschaft und unseres Geliebten, des Gesandten Allahs – Allahs Segen und Frieden auf ihm – gewesen wäre, hätte nicht der christliche König Abessiniens, hätten nicht die Bewohner Medinas ihnen die Tore geöffnet und sie geschützt, als ihre Verfolger ihnen nachstellten?

Welche Zeit wäre besser als der Monat Ramadan um an Not und Leid der Millionen von Menschen, die alles verloren haben, Anteil zu nehmen? Es kann mit einer scheinbaren Kleinigkeit beginnen, damit, vor dem Fastenbrechen jene im Gebet zu bedenken, die hungern, die nicht mehr besitzen, als die Kleider die sie tragen. Und zwar unterschiedslos alle, ungeachtet ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer Sprache, Hautfarbe und auch unabhängig davon, welche persönliche Sicht wir auf den Konflikt haben, von dem einzelne Flüchtlinge betroffen sind. Hungernde Kinder kennen keine Schuld oder Unschuld, keine politische Verantwortung. Alte, Schwangere, Kranke, die nicht medizinisch versorgt werden können – wer sie vor der Hilfeleistung fragt: „Was glaubst du? Zu wem gehörst du?“, der hat das Wesen der Hilfeleistung an sich nicht verstanden. Muslime sind nicht nur seit der Stunde der ersten Verkündung immer wieder Flüchtlinge gewesen, sie haben auch immer wieder Flüchtlinge aller Nationen und Religionen Schutz, Sicherheit und Hilfe geboten. Das Beispiel der spanischen Juden, die in Nordafrika, auf dem Balkan und in Istanbul Aufnahme fanden, ist vielleicht das Bekannteste, aber keineswegs das Einzige. 

Die Verantwortung ruht auf jedem einzelnen von uns, alles, was uns an Gütern gegeben ist, ebenso wie Gesundheit, Bildung, Zeit, ist auch eine Prüfung, uns ist die Pflicht des Habenden gegenüber dem Mittellosen auferlegt – auch gemessen an deutschen Maßstäben wenig hat, ist unter Umständen materiell um ein vielfaches Erhöht über Menschen an anderen Orten der Welt. Wir müssen die Prüfung annehmen, damit die materielle Erhöhung nicht Grund für unseren spirituellen Niedergang wird. Ramadan ist die Zeit, die Bedeutung und den Segen von Sadaka und Zakat hervorzuheben. Aber es geht nicht nur um materielle Spenden. Es geht auch um das nicht vergessen der Namenlosen, Heimatlosen der Welt. Noch an sie erinnern, wenn die Aufmerksamkeit der Welt sich der nächsten Katastrophe zuwendet, ist auch ein Weg, die Prüfung anzunehmen. 

Möge Allah der Erhabene uns helfen, die Prüfung zu bestehen! Möge Er das Leiden der Bedürftigen lindern und unsere Taten für sie annehmen, möge Er uns vor diesem Schicksal bewahren! 

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.