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Freie Rede

Kaan Orhon
23.02.2018
Bismillah
"Freie Rede" - Gedanke zum Freitag

Der Gesandte Allahs - Segen und Frieden auf ihm - sagte:
"Wer an Allah und den Jüngsten Tag glaubt, der soll entweder Gutes sprechen oder schweigen."
(Sahih Muslim)

Die Lebensumstände der Menschen entwickeln sich, aber das Wesen der Menschen bleibt im Kern dasselbe. Diese Tatsache wird uns in den verschiedensten Kontexten wieder und wieder vor Augen geführt. Sie lässt sich in beinahe jedem spezifischem Kontext veranschaulichen.

Kommunikation und Kommunikationstechnologie ist ein Beispiel. Zwischen der Zeit in der mein Vater als Student Briefe an Verwandte in der Türkei schrieb, und heutigen Skype-Konferenzen und Whats-App Videoanrufen liegen Welten. Kinder, die heute in Deutschland aufwachsen, erleben es unter Umständen als selbstverständlich, dass jeder jederzeit und überall erreichbar ist, ohne Verzögerung, in Bild und Ton, und am besten kostenlos. Freilich nicht alle - darauf muss hier auch hingewiesen werden: nicht jede Technologie und jedes Gerät sind für jeden erschwinglich. Auch in unserer Gesellschaft ist Kommunikation und Erreichbarkeit ein Privileg, kann ein Statussymbol, ein Ausdruck von Ungleichheit sein.
Aber jenen, denen alle Wege unserer modernen Kommunikation offen stehen, können in der Tat dahin kommen, sie als Selbstverständlichkeit anzusehen, für die man nicht mehr dankbar ist; im Gegenteil, man wütet und flucht, wenn die Bildqualität zu wünschen übrig lässt, wenn die Daten nicht schnell genug übertragen werden oder - Gott bewahre - WhatsApp oder Facebook eine Zeit lang gar nicht funktionieren.

Und schließlich - und damit zum Hadith am Anfang zurück - kommt mit der Selbstverständlichkeit der Kommunikation immer und überall manchmal auch der Eindruck, sich zu allem Äußern zu müssen. Wenn die Verkündung der eignen Meinung, wenn der Kommentar eines Ereignisses keinerlei Mühe erfordert und keinerlei Schranken überwinden muss, versinkt das wichtige Gut der Partizipation und freien Rede mitunter in einer Flut von Belanglosigkeiten; sinkt die Hemmschwelle für Beleidigung und Hetze, Verleumdung und Mutmaßung. Sprache kann auch eine Waffe sein, die verletzt und herabwürdigt, eine Mauer, die trennt und ausgrenzt.
Je leichter uns die Kommunikation fällt - eine Gnade, für die wir bewusst und aufrichtig danken sollten - desto länger sollten wir innehalten, bevor wir uns äußern, und uns kritisch damit auseinandersetzen, ob das, was wir im Begriff sind zu äußern, etwas Gutes hervorbringt.

Etwas Gutes für uns und für andere Menschen, für unser Diesseits und für unser Jenseits. Oder ob wir unter Umständen jemanden verletzen, eine Unwahrheit verbreiten, Zwietracht sähen und uns unter Umständen selbst schaden.

Danken wir für das Geschenk, dass uns mit der Möglichkeit, miteinander zu sprechen, gemacht wurde, und bitten wir um die Weisheit, es richtig zu nutzen.

In diesem Sinne wünscht euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.

Heute von: Kaan Orhon, Islamwissenschaftler aus Göttingen und Mitglied des Ältestenrates.