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In Zeiten der Gewalt

Kaan Orhon
29.07.2016

Bismillah
Gedanke zum Freitag:

Heute von Kaan Orhon aus Göttingen, Islamwissenschaftler und RAMSA Vizepräsident

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch:

„Nicht gleich sind die gute Tat und die schlechte Tat. Wehre mit einer Tat, die besser ist, (die schlechte) ab, dann wird derjenige, zwischen dem und dir Hass war, so, als wäre er ein vertrauter Freund.“ ((Fussilat:34))

In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir viele schreckliche Nachrichten gehört, zu viele. Und davon sind uns viele sehr nahe gekommen, was dazu beigetragen hat, Gefühle von Angst, Unsicherheit, Trauen und Zorn noch zu verstärken. Denn auch, wenn wir zu denen gehören, die am Leiden von Menschen in anderen Teilen der Welt Anteil nehmen – Istanbul, Aleppo, Bagdad, Kabul und zuletzt Qamischli – prägt uns das Leben in einem Land, einem Teil der Welt, das Jahrzehnte des Friedens erlebt hat. Würzburg, Ansbach und München, und auch die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit in Frankreich sind allzu nah und ihr Schrecken unmittelbar. Das ist natürlich und kein Zeichen dafür, Leben ungleich zu gewichten, wie so oft unterstellt wird; es ist vielmehr die menschliche Natur.

Angesichts der genannten Verbrechen in Deutschland, in besonderer Weise in München, wurde uns nicht nur die Bedrohung durch einen einzelnen vom Hass getriebenen Menschen aufgezeigt, sondern auch die Gefahr der Ausnutzung solch schrecklicher Ereignisse durch Menschen, die von Leid und Angst, von Terror und Verbrechen profitieren wollen. Das Verbrechen war noch im Gange, da wurden Theorien in die Öffentlichkeit gebracht; die Familien der Opfer waren zum Teil noch im Unklaren über das Schicksal ihrer Angehörigen, da erwuchsen aus diesen Theorien schon politische Forderungen und Kampagnen.

Nicht Wenige spielen ein sattsam bekanntes Spiel weiter: das Suchen eines Sündenbocks, das Dämonisieren von Menschen einer bestimmten Gruppe und das Ausspielen verschiedener Gruppen gegeneinander. Sie vertiefen so bewusst die Wunden und vergrößern den Schaden, den die jeweiligen Taten verursacht haben.

Was also ist zu tun?

Aufeinander zugehen, einander helfen, sich Hetzte und Aufwiegelung von allen Seiten mit Nachdruck und öffentlich wiedersetzten. Die Kultur öffentlicher Diskussion entwickelt sich in eine gefährliche Richtung, nämlich dahin, sich nur noch unter Gleichgesinnten zu bewegen. Nur noch das Lesen, das Ansehen oder die Veranstaltungen besuchen, wo man damit rechnet, das gesagt zu bekommen, was man ohnehin schon für richtig hält. Ich weiß nicht, wie viele Statusmeldungen in sozialen Medien ich in letzter Zeit gesehen habe, die darauf hinausliefen: wer das-und-das so sieht, der möge mich
‚entfreunden‘. Es werden geistige Wagenburgen gebaut, indem man nach und nach alle, die anderer Meinung sind, aus dem eigenen Alltag und Diskurs, egal ob real oder virtuell, entfernt.

Doch das ist nur ein scheinbarer Schutz, statt einer Festung baut man sich in Wahrheit selbst ein Verlies. In Zeiten von Angst, Instabilität und Aufruhr sind mehr Brücken und Beziehungen notwendig, nicht weniger. Das fängt bei den Gesten von Anteilnahme und Solidarität nach Anschlägen und Verbrechen an, die wir auch erleben durften, geht aber noch weit darüber hinaus.

Die DDR Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley sagte angesichts des Völkermordes in Bosnien:
"Die Zivilisation scheint nur eine dünne Haut zu sein, die jederzeit zerreißen kann.“ Wenn wir angesichts der Serie von Schreckensnachrichten der letzten Tage den Eindruck haben, dass diese dünne Haut in unserer Gesellschaft zerreißt, so sind wir gefordert, unseren Beitrag zu leisten, damit sie hält.

Möge Allah, der Erhabene uns vor den Schrecken des Krieges, des Aufruhrs und der Gewalt bewahren!

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.