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Leitkultur

Kaan Orhon
19.05.2017

Bismillah
„Leitkultur“ – Gedanke zum Freitag

Allah der Erhabene sagt in seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„O ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Gewiß, der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch. Gewiß, Allah ist Allwissend und Allkundig.“
((al-Hugurat : 13))

Wer essen will, ohne allzu viel Mühe ins Kochen zu investieren, wärmt abgestandenes Essen auf. Und wer politisch punkten will, ohne Mühe in Inhalte zu investieren, wärmt abgestandene Debatten auf. Im vorliegenden Fall wurde das Konzept Leitkultur aus dem Keller geholt.

Dazu gäbe es viel zu sagen, viel ist auch schon gesagt worden. Aber das soll hier jetzt nicht Thema sein. Es soll vielmehr den Impuls geben zu ein paar Gedanken über den Begriff Kultur und seine Bedeutung. Die Beziehung von Kultur und Religion im Allgemeinen, von Islam und Kultur, Islam und deutscher Kultur im Besonderen.

Man stößt in muslimischen Kontexten immer wieder mal auf einen überaus negativen Kulturbegriff. Kultur im Gegensatz zu Religion, als etwas das das positive Wesen der Religion verzerrt und verunstaltet. Klassisch bei Debatten über verdorbene und verabscheuungswürdige Praktiken, die – auch, aber nicht nur – in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften auftreten und von externen Beobachtern unbewusst oder bewusst fälschlicherweise dem Islam als Religion zugeschrieben werden. „Ehren-“Morde, Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung, die Liste ließe sich fortsetzen.

Hier ist ein verbreitetes Argumentationsmuster: „Das ist nicht Islam, das ist nicht die Religion, sondern die Kultur, Traditionen von da-und-da.“
Das ist in der Sache korrekt. Es bringt aber eben leider wieder eine grundsätzlich negative Bewertung des Kulturbegriffes mit sich, und daraus erwächst vielfach ein Bestreben, einen entkulturalisierten, „reinen“ Islam zu leben, diesen zu entwickeln bzw. zu diesem zurückzukehren.
Dies muss aber scheitern, denn der gelebte „reine“ Islam ist eine historische Fiktion. Gelebter Islam erhält immer ein Gepräge der Menschen, die ihn leben und praktizieren. Und dies ist auch in keiner Weise negativ, im Gegenteil.
Alle vom Islam geprägten Kulturen von Marokko bis Indonesien, von der Wolga bis nach Ostafrika, auch die historischen wie in Andalusien oder Sizilien, legen Zeugnis davon ab in Architektur, Literatur, Kunst, Kleidung, Küche, Brauchtum, sozialer Struktur und so weiter und so fort.

Anders als bei den Grundlagen des Glaubens und der praktizierten Religion sind solche kulturellen Eigenheiten wandelbar, und sie sind auch nicht a priori gut. Es gibt in der Tat Bräuche und Traditionen, die überwunden gehören. Kulturelle Prägung ist aber ebenso wenig a priori schlecht und widerspricht nicht der Religion, es ist nicht nötig, sondern im Gegenteil schädlich eine vermeintliche „Befreiung“ des Islam von seinem gelebten Antlitz anzustreben.

Vielfalt, das gilt für Kulturen ebenso wie für die Rechtsschulen, philosophischen Strömungen und theologische Denkrichtungen, die auf dem Fundament der grundlegenden Glaubensinhalte stehen, ist Segen, nicht Gefahr oder Spaltung. Sie ist Wille des Schöpfers und Mittel und Weg, den Eingang des Islam in die Herzen von Menschen zu erleichtern. Vereinfacht gesagt:

Der Islam ist ebenso sehr deutsch und französisch, chinesisch und japanisch wie arabisch, kurdisch, türkisch oder persisch. Und darin liegt eine seiner vielen Segnungen.

In diesem Sinne wünscht euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.

Heute von: Kaan Orhon, Islamwissenschaftler und Mitglied des Ältestenrates