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Mahnung

Kaan Orhon
14.10.2017

Bismillah
„Mahnung“ – Gedanke zum Freitag

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

„O die ihr glaubt, seid Wahrer der Gerechtigkeit, Zeugen für Allah, auch wenn es gegen euch selbst oder die Eltern und nächsten Verwandten sein sollte! Ob er (der Betreffende) reich oder arm ist, so steht Allah beiden näher. Darum folgt nicht der Neigung, dass ihr nicht gerecht handelt! Wenn ihr (die Wahrheit) verdreht oder euch (davon) abwendet, gewiss, so ist Allah dessen, was ihr tut, kundig.“ ((an-Nisa:135))

Gestern war der 20. Juli, an diesem Tag im Jahre 1944 versuchte eine Gruppe deutscher Widerstandskämpfer, Adolf Hitler zu töten und durch einen Staatsstreich den Krieg zu beenden. Bekannt ist vor allem die an jenem Tag handelnde Kerngruppe von Offizieren, doch hinter der Versuch der Befreiung stand eine sehr viel größere und vielfältigere Gruppe von Verschwörern. In ihr und in anderen Widerstandsgruppen bildete sich die gesamte Gesellschaft ab, Adlige und Arbeiter, Monarchisten und Sozialdemokraten, Priester und Sozialisten; Katholiken, Protestanten, Juden und Nichtreligiöse. Bei unterschiedlichsten Visionen und Überzeugungen einte sie das Bewusstsein um die Notwendigkeit der Tat, des Widerstandes gegen den Unrechtsstaat, auch um den Preis des eigenen Lebens.

In Zeiten unablässiger Warnungen vor einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, einer steigenden Gewaltbereitschaft der extremen politischen Rändern und einer Radikalisierung der Mitte, immer schärferer Gegensätze zwischen Menschen verschiedener Ansicht und Herkunft soll das Gedenken an den 20. Juli Anlass für einige Betrachtungen sein.

Muslimisches Leben fand in den Jahren des Nationalsozialismus in Deutschland im Wesentlichen nur in Berlin statt. Dort war die muslimische Gemeinde allerdings schon tief verwurzelt, seit ihren Anfängen waren bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten schon fast 20 Jahre vergangen. Wie alle anderen Menschen in Deutschland wurden die Muslime mit der Frage konfrontiert, wie sie sich gegenüber dem Machtanspruch des totalitären Unrechtsstaates verhalten sollten. Brennende Schärfe gewann die Frage vor dem Hintergrund, dass nicht wenige Muslime in Berlin damals Juden im Sinne der Volkszugehörigkeit oder der „Rasse“ waren, wie es in der Sprache der NS-Diktatur hieß.

Vielleicht prominentestes Beispiel ist Muhammad Asad Leopold Weiss, der in der Berliner Gemeinde den Islam annahm und Deutschland Anfang der 30er Jahre verließ, als das Grauen der Diktatur seine Schatten voraus warf.

Am Ende ging es den Berliner Muslimen nicht anders als anderen gesellschaftlichen Gruppen, einige schwammen mit dem Strom, andere folgten ihrem Gewissen und leisteten Widerstand, vor allem durch die Rettung verfolgter jüdischer Mitbürger. Die Gemeinde wurde für die Inszenierung des Nazi-Kollaborateurs Mohammed Amin al-Husseini missbraucht und stand gleichzeitig unter Beobachtung der Gestapo, die sie als „judenfreundlich“ beschrieb, die NSDAP beklagte, die Gemeinde entziehe „Juden dem Zugriff der Justiz“.
Nun sind wir weit entfernt von den Verhältnissen des NS-Systems, doch täten wir gut daran, wie es auch im Quran heißt, zu sehen, wie das Ende derer war, die vor uns kamen und Lehren daraus zu ziehen. Das trifft auf die jüngere deutsche Geschichte ebenso zu wie auf die frühe islamische – auch dort finden wir viele Zeugnisse von Menschen, die, ihrem Gewissen folgend, der Macht der Gewalt widerstanden, auch um den Preis des eigenen Lebens. Imam Abu Hanifa, möge Allah, der Erhabene, Wohlgefallen an ihm haben, ist nur ein Beispiel.

Jedem von uns ist die Verantwortung auferlegt, Gerecht zu handeln und die Rechte anderer – ohne Ansehen ihrer Person oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe – bedingungslos, immer und gegen jeden, auch gegen Solche, die uns selbst nahe stehen, zu verteidigen. Das ist schwer und kann uns vieles kosten, es besteht immer die Möglichkeit, dass wir der Verantwortung nicht gerecht werden. Aber wir müssen es versuchen, müssen nach diesem Ideal streben – den jeder von uns wird befragt, was er mit seinen Möglichkeiten gegen das Unrecht seiner jeweiligen Zeit getan hat. Und Allah ist dessen, was wir tun, kundig.

In diesem Sinne wünscht euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.

Heute von: Kaan Orhon, Islamwissenschaftler aus Göttingen und Mitglied des Ältestenrates