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Superwahljahr 2021 - Gedanken zum Freitag

11.06.2021

Bismillah

„Die Partei Gottes“ – Gedanke zum Freitag

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der sinngemäßen Übersetzung:

 

„(…) gewiß, die Partei Allahs wird die Obsiegende sein.“ ((al-Maida:56))

Wir sind gut zur Hälfte in das „Superwahljahr“ hinein, wir haben mehrere Landtagswahlen hinter und die Bundestagswahl vor uns, mehrere Parteien haben ihre interne „K-Frage“ mal mehr, mal weniger zügig geklärt.

Muslimische Wählerinnen und Wähler standen und stehen wie Andere auch vor der Frage: wem gebe ich meine Stimme? Wer vertritt am ehesten meine Interessen? Oder manche könnten provokanter fragen: wo auf dem Wahlzettel finde ich die Partei Gottes?

Wir geben als Verein keine Wahlempfehlungen ab, nur so viel sei gesagt – sicher sind es nicht Klein- und Kleinstgruppen, die sich vielleicht Partei nennen, aber dabei keine realen politischen Konzepte anbieten, sondern nur mit Feindbildern aufgeladenen Populismus, der Muslim:innen in der Lösung sie betreffender Probleme z.B. auf die Errichtung eines vermeintlich „islamischen Systems“ in einer unbestimmten Zukunft verweist.

Die Partei Gottes sind im Bezug auf gegenwärtige Politik gleichermaßen Wähler:innen und Gewählte, die sich dem Ziel verschreiben, das Leben der Menschen und die Welt um sich herum besser zu machen. Auch und gerade dann, wenn sie in konkreten Fragen unterschiedlicher Meinung sind.

Vielfalt der Meinungen und Ideen ist eine Gnade und kein Übel, diesen Grundsatz haben wir als Verein in einem islamischen Referenzrahmen intern immer hochgehalten und dies gilt auch für politische Tätigkeit. Wir haben seit jeher die Unterstützung engagierter Geschwister erfahren, die auch politische Mandatsträger:innen waren und dabei eine Bandbreite von Parteien und Ideen abgebildet haben, von CDU bis Grün.
Etliche unserer Vereinsmitglieder sind in verschiedenen Parteien aktiv und wir zählen Politiker*innen verschiedener Parteien zu unseren geschätzten Partner*innen, zu gern gesehenen Gästen auf unseren Iftar-Veranstaltungen oder bei Diskussionen und zu den Unterstützer*innen unserer Aktionen und Kampagnen.

Gemeinsames Fundament bildet dabei unser Menschenbild auf Basis von muslimischen Glaubensinhalten und Ethik. Extremismen jeglicher Art, ob sie sich als muslimisch verorten oder nicht, sind nicht akzeptabel. Es ist leider nötig dies zu betonen.
Nicht nur, weil es bekanntermaßen extremistische Gruppen gibt, die sich als Vertreter*innen muslimischer Menschen inszenieren, sondern weil es auch immer wieder Versuche nicht-muslimischer Extremist*innen gibt, über bestimmte Themen Zugang zu muslimischen Gemeinschaften zu suchen und sie zu instrumentalisieren.

Wir haben dies „links“ gesehen bei kommunistischen Bombenlegern, die sich über Themen wie Palästina und Irak als Verbündete unter dem Mantel eines fehlgeleiteten Anti-Imperialismus anbieten und „rechts“ bei den Versuchen von Hizb ut-Tahrir und NPD, miteinander anzubändeln auf Basis von gemeinsamem Judenhass und Demokratieverachtung.

Jenseits der Extreme, auf dem Fundament gemeinsamer Werte und des gemeinsamen Willens, Dinge zum Besseren zu verändern, gibt es mehr als genug Raum zu debattieren oder sogar zu streiten auf dem Weg zur besten oder anders gesagt zur unserem Schöpfer wohlgefälligen eines beliebigen Problems.

Der muslimische Denker und Politiker Alija Izetbegović charakterisierte eine „islamische“ Lösung so: um islamisch zu sein, müsse sie zwei Konditionen erfüllen, ein Maximum an Effektivität und ein Maximum an Menschlichkeit.

Auf dem Weg zu einer solchen Lösung können unterschiedlichste Idee entstehen – der Islam gibt eben keine konkreten, finalen Antworten vor auf die unüberschaubare Fülle einzelner Fragen der Alltagspolitik. Zu Kohleausstieg und Pandemiebekämpfung, zu Grundeinkommen und Staatstrojanern, zu Lieferkettengesetz und Verkehrswende, zur Anschaffung bewaffneter Drohnen, der Zukunft des Rundfunkbeitrages oder meinetwegen der Rückkehr der Wölfe können auf Basis islamischer Werte unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Ansichten vertreten werden, ohne dass eine davon notwendigerweise islamisch falsch sein muss.

Diese „Kultur der Ambiguität“, um den Titel eines Buches des Islamwissenschaftlers Dr. Thomas Bauer zu zitieren, ist eben eine große Stärke und keine Schwäche islamischer Spiritualität und Zivilisation und sollte zusammen mit der Maxime Izetbegovićs auch und gerade in der Politik Leitbild für uns sein, ob als Wähler*innen oder Gewählte.

Abschließend noch ein kurzer Absatz zur Frage des Nichtwählens – wir lehnen die von einer kleinen aber bedauerlicherweise lautstarken Minderheit vertrete Parole, Demokratie sei eine Religion und somit mit der Religion des Islam unvereinbar und an sich sündhaft wenig überraschend und wie schon etliche Male betont ausdrücklich ab.
Diese ist aus unserer Sicht weder theologisch schlüssig noch gesellschaftlich dem Wohl der Muslim*innen (oder von sonst Irgendjemand) dienlich.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass die bewusste Entscheidung, niemanden zu wählen, nicht legitim ist. Bei aller Parteienvielfalt ist es natürlich immer noch möglich, dass man sich von keiner Partei repräsentiert und die eigenen Interessen von keiner Partei vertreten sieht.
Aber auch in diesem Fall sehe ich persönlich zumindest es als am sinnvollsten an, einen klar in diesem Sinne ungültig gemachten Stimmzettel abzugeben, um den Protest deutlich zu machen, anstatt die Verweigerung der Stimmabgabe als Desinteresse interpretiert zu sehen.

In diesem Sinne wünscht Euch der RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.