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Andersgläubige bemühen sich um Dialog

18.09.2011

Rheinland-Pfalz Die Suche nach Heimat hat auch eine spirituelle Dimension: "Wo finde ich Gleichgesinnte?", "Wie kann ich meinen Glauben praktizieren?" Solche Fragen stellen sich viele Einwanderer. Zum Abschluss unserer Serie trafen wir Menschen, in deren Leben nicht nur der Austausch zwischen Kulturen, sondern auch der Dialog der Religionen eine große Rolle spielt.

"Ausländer raus!" oder "Scheiß Mohammedaner", solche Beschimpfungen bekommt Safiye Ilhan (29) immer wieder zu hören. Auch Vermieter oder potenzielle Arbeitgeber benehmen sich auffallend zurückhaltend, wenn sie der jungen Frau mit bayerischem Akzent nach einem Telefonat persönlich begegnen. "Zuerst dachte ich, Bajuwaren sind hier nicht so erwünscht", erinnert sie sich an die Zeit, als sie zum Studium nach Koblenz kam. Doch bald bemerkte Ilhan, dass der Grund für das Misstrauen, mit dem Menschen auf sie reagierten, ihr Glaube war. Den trägt sie für jeden sichtbar am Körper: Mit 14 Jahren hat sich die waschechte Bayerin dafür entschieden, islamische Kleidung zu tragen – zum Entsetzen ihrer türkischen Eltern.

Für die Kinder der ersten Gastarbeitergeneration spielte Religion keine große Rolle. Ihre Tochter Safiye musste sich die Grundsätze des Islam anlesen: "Meine Mitschüler am Gymnasium fragten immer: Wie ist das denn bei euch? Irgendwas musste ich ihnen ja darauf antworten!" Den Zugang zum Glauben fand Ilhan schließlich über eine katholische Mitschülerin in Oberbayern. Sie war begeistert vom gemeinsamen Gebet und der Spiritualität, die sie in der Familie erlebte. Bald kannte Ilhan den Katechismus besser als ihre Freundin. Heute studiert sie Grundschulpädagogik, Germanistik und katholischen Theologie. Bis kurz vor der Geburt ihres Sohnes im September war die praktizierende Muslima stellvertretende Sprecherin des Rates der muslimischen Studierenden und Akademiker in Deutschland sowie Vorsitzende der Vereinigung der Islamischen Studierenden in Koblenz (ISK). 181 Mitglieder aus 29 Nationen vereint die ISK unter ihrem Dach, rund zehn Prozent gehören dem Islam gar nicht an. "Wir sind offen für alle Studierenden, auch für Bürger, die sich über den Islam informieren wollen", erklärt Ilhan, die die ISK als Plattform zur Kommunikation begreift. Sie will Möglichkeiten zur Begegnung schaffen, um Vorurteile gegenüber dem Islam abzubauen. "Negative Erfahrungen mache ich in meiner Heimat Deutschland nicht als Frau mit türkischen Wurzeln, sondern eher als Muslima."

Vorurteilen begegnen – das wollten auch die Mitglieder des Türkisch-Islamischen Kulturvereins in Fürthen (Kreis Altenkirchen), als sie sich nach den islamistisch motivierten Attentaten vom 11. September 2001 auf den Weg nach Hamm zur Sonntagsmesse machten. "Es war der Moment gekommen, nach außen zu treten, uns für nicht einverstanden zu erklären und das Gespräch mit den Leuten zu suchen", erklärt Metin Demiray (35), damals Vorsitzender des Kulturvereins. 1989 hatte der Verein in Fürthen ein Grundstück gekauft, um dort eine Moschee zu bauen. "Mit Angst" habe der damalige Bürgermeister zu dem Bau Ja gesagt – lange bevor das Wort "Moscheenstreit" in Mode kam. Doch die Vereinsmitglieder waren sich schon beim Entwurf (eines deutschen Architekten) ihrer Verantwortung bewusst: "Wir wollten niemandem ein Dorn im Auge sein", so Demiray, "und erst recht keinen Monopolanspruch behaupten. Wir leben hier in einem fremden Land und müssen etwas fürs friedliche Zusammenleben tun. Nachbarn sollten keine Angst vor uns haben." So fielen die Minarette deutlich kleiner aus als geplant.

Dank Demirays Überzeugungsarbeit – nach außen und innen – stehen die Türen der Moschee heute nicht nur den 200 Mitgliedern offen, sondern auch jedem anderen. Zum Sommerfest über vier Tage kommen 4000 Besucher – doppelt so viele, wie der Ort Einwohner hat. Und das gemeinsame Krippenspiel mit Mitgliedern der katholischen und evangelischen Kirche hat fast schon Tradition – auch wenn es diese Weihnachten ausgefallen ist, weil das geistige Oberhaupt der Fürthener Türken, der Imam, gerade nach Mekka pilgert.

Der Dialog zwischen Christentum und Islam scheint in Fürthen gelungen. Gegenseitige Besuche in den Gotteshäusern gehören zur Tagesordnung. Das nahegelegene Krankenhaus stellt einen Raum zur Totenwaschung nach islamischem Ritus sowie mehrsprachige Ausgaben des Korans zur Verfügung. Sogar ihren Friedhof teilt die Gemeinde mit den Muslimen. Einigen Christen ging die Ausrichtung der islamischen Gräber nach Mekka anfangs gegen den Strich. Für die türkischen Gastarbeiter, die einst vom deutschen Staat umworben wurden, mit ihren Familien von der Ägäis nach Fürthen zu kommen, bedeutet der Schritt aber, dass sie in diesem Staat nicht mehr nur Gäste, sondern Bürger sind.

Ausgerechnet Deutschland bietet inzwischen auch vielen Juden wieder eine Heimat. Von 1991 an hatten jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit, als "Kontingentflüchtlinge" einzureisen (siehe Kasten). Zu ihnen zählt auch Michael Aramowski. Der heute 74-Jährige kam 1993 mit seiner Frau Anna aus St. Petersburg. Das Wort "Jude" in Pass und Geburtsurkunde war für ihn die Eintrittskarte in die Bundesrepublik, und damit in ein neues Leben. Politischer Wille brachte das Ehepaar gemäß einem Verteilungsschlüssel nach Rheinland-Pfalz, zunächst ins Auffanglager Osthofen. Dort durften die beiden wählen: Sollte Trier oder Bad Ems ihr neuer Lebensmittelpunkt werden? "Nu gut – Bad Ems", beschloss Aramowski mit einem Schulterzucken aufgrund der Nähe zur Hochschulstadt Bonn. Denn in St. Petersburg war der promovierte Agraringenieur Universitätsprofessor.

Seine Hoffnung, bis zur Rente noch mal beruflich Fuß zu fassen, erfüllte sich nicht. Doch für die Freiheit, seinen Glauben offen praktizieren zu dürfen, ist er dem deutschen Staat dankbar. Am Leben der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz nimmt er rege teil. "Von 1000 Mitgliedern sind bestimmt 95 Prozent Ostblock-Juden", erklärt Aramowski. Für sie spielten jüdische Traditionen im Alltag bis zur Übersiedlung meist keine Rolle: In der einstigen Sowjetunion mussten Juden mit politischer Verfolgung und Repressalien rechnen. Und so bringt für viele der Neuanfang in Deutschland auch die Suche nach der eigenen Identität mit sich. Einige finden sie im jüdischen Glauben.(Nicole Mieding)

Über die Folgen der Terroranschläge von New York und der gescheiterten Kofferbombenanschläge in Deutschland hat Safiye Ilhan mit Studenten den Film "Kofferdenken" gedreht. Per Mausklick in der Leiste oben können Sie sich das Werk als Flashvideo ansehen.

Quelle: Rhein Zeitung http://archiv.rhein-zeitung.de/on/08/12/30/rlp/t/rzo517483.html?a.