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Ein Kommentar zur Gründung des Begabtenförderwerks AVICENNA

18.02.2014

Von Ayşe Cindilkaya

Seit diesem Montag nimmt das erste muslimische Studienwerk AVICENNA Bewerbungen entgegen für ein Stipendium besonders begabter und gesellschaftlich engagierter Studierender und Promovierender. Fünfzig Plätze sind zu vergeben. Die Frist ist auf den 30. April 2014 angesetzt. Details zum Bewerbungsprozess entnehmt ihr bitte der Website www.avicenna-studienwerk.de.

Für die RAMSAner und muslimischen Studierenden und Akademiker in ihren jeweiligen Bereichen eröffnet sich hierdurch eine weitere, besonders ansprechende Möglichkeit Unterstützung in der Professionalisierung ihres Ehrenamts zu erfahren.

AVICENNA ist das einzige vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) anerkannte Begabtenförderungswerk in Deutschland, welches speziell auch das ehrenamtliches Engagement im muslimischen Bereich in der Bewertung offen berücksichtigt und schätzt. 

Als ich mein Studium vor einer gefühlten Ewigkeit aufnahm, standen muslimische Studierende bei jeder Bewerbung um einen Nebenjob oder ein Stipendium vor der Frage, ob sie ihre Verantwortung in muslimischen Hochschulgruppen erwähnen sollten oder nicht. Zu groß war die Sorge, deshalb vorschnell in eine Schublade gesteckt und somit trotz ausgezeichneter Noten unnötig abgelehnt zu werden. Wir waren alle unabhängig und wollten einfach nur Gutes tun. Dass wir Nachhilfe an sozial Schwächere erteilten taten wir kund; dass wir um vier Uhr morgens noch E-Mails miteinander austauschten mit der Frage, ob der Beamer für das interkulturelle Fastenbrechen, welches wir seit Wochen in Kooperation mit der Stadt und den christlichen Hochschulgruppen organisierten nun endgültig steht, lieber nicht. So konnte sich keiner erklären, warum wir einmal wieder pünktlich um acht völlig übermüdet  zum Seminar erschienen. Durchzechte Nächte und Kater bekamen im studierenden Kontext mit uns eine weitere Konnotation.

Wir fanden uns exotisch, wir konnten uns oftmals selbst nicht erklären, warum unser Herz so sehr daran hing, etwas für die Gesellschaft zu tun. Unsere Veranstaltungen waren überwiegend öffentlich und für alle Interessierte zugänglich. Nur wenige ausschließlich für Muslime, und dann derart, dass wir uns in den Nächten des Ramadan zum gemeinsamen Gebet trafen. Wir gaben unseren letzten Euro des Bafög oder unseres Gehalts, verdient beim endlos langweiligen Absitzen in der Institutsbibliothek, für Schokokekse aus, um eine schöne Atmosphäre beim Mitgliedertreffen zu schaffen, nur um dann  enttäuscht festzustellen, dass wir manchmal der einzige Gast waren, weil die anderen selbstverständlich in der Bibliothek saßen, um sich auf das Vordiplom vorzubereiten. Seien wir mal ehrlich: Irgendwann erreichte einen jeden von uns die Frage: Für was mache ich das alles überhaupt? Nicht nur Erfolg, sondern auch  Frustration gehörte zu unserem Wirken.

Wir suchten uns übers Internet und Telefon mühsam bundesweit zusammen, wohnten phasenweise schon fast in Zügen und reisten auf eigene Kosten von einer Stadt zur nächsten und gründeten RAMSA, um zu vernetzten, Potentiale zu bündeln und unsere Jüngeren zu fördern. Wir schauen auf nun bald vierzig Standorte und zahlreiche muslimische Studierende und Akademiker, auf Euch und pflegen ein geschwisterliches, freundschaftliches Verhältnis zueinander. Und RAMSA sind wir: alle aktiven Studierenden und Akademiker.

Je größer RAMSA wurde, desto  selbstbewusster traten wir an unseren Universitäten auf und förderten den wissenschaftlichen Austausch unter allen Fachrichtungen. Wir diskutieren über die Religion im öffentlichen Raum, reflektieren unser Umweltbewusstsein und Nahrungsmittelkonsum, thematisieren und machen Diskriminierung und Ausgrenzung publik, führen den interreligiösen Dialog in allen Sparten oder helfen einfach nur, Muslimen eine kleine Gemeinschaft an ihrer Hochschule aufzubauen. Wir können nicht behaupten, dass wir alles richtig machen. Nur sagen, dass wir etwas versuchen. Auf unseren Konferenzen und gemeinsamen Reisen lachten und jammerten wir zusammen und tankten neue Kraft für das kommende Semester.

Nun sind viele von uns bereits Akademiker und stehen mitten im Berufsleben. Gerade diese wissen, wie sehr es ihnen geholfen hätte, wenn sie jemand bei der Hand genommen, von Vorbildern erzählt und auch finanziell unterstützt hätte. Äußerlich erkennbare muslimische Frauen sind im Berufsleben als qualifizierte Fachkräfte nicht mehr wegzudenken, doch haben sie aufgrund diskriminierender Strukturen immer noch besonders während des Studiums große Schwierigkeiten einen vernünftigen Nebenjob zu finden.

Manchmal denke ich daran zurück, an die Zeit wo ich vier Vorstandspositionen gleichzeitig innehatte, zwei davon im Vorsitz und eine davon in einer internationalen Organisation. Hausarbeiten schrieb man unter solchen Bedingungen innerhalb einer Woche, Bücherrecherche und Lektüre inklusive. Die verständnisvollen Eltern erreichten einen meist nur im Zug, wo die Verbindung ständig unterbrochen war. Zumindest hatten wir ihre Dua noch gehört. Das gab Kraft. Was für wahnsinnige Zeiten! Doch exemplarisch für gläubige Studierende, die sich genau in dem Alter befinden, indem man „noch die Welt retten“ möchte und es tatsächlich vollbringt, Details zu ändern. (Die schlaflosen Nächte, die mir meine Kinder heute bescheren, kommen mir wie ein süß in mein Ohr gehauchtes Lied vor). Genau diesen jungen Leuten wird Mut gemacht durch Stipendien!

Was wir nicht auch alles wollten! Und erst wie viel reisen! Aber vor allem wollten wir den Muslimen zeigen, wie viele von uns studieren und Erfahrungspools für Nachzügler schaffen. Endlich nicht mehr immer nur bei Null anfangen. Also blieben wir dann doch öfter in Deutschland und organisierten als Vorstandsvorsitzende Bildungsreisen – für andere. Manchmal frage ich mich, ob die nächste Generation der Studierenden zu schätzen wissen wird, was sie heute für Möglichkeiten hat und wie einfach es geworden ist, an der Hochschule die eigene Community aufzubauen.Eine Stimme in mir bejaht dies.

Es macht mich nicht minder sentimental, dass gesellschaftliches Engagement auch in „unseren Kreisen“ nun gewürdigt wird. Finanzielle und auch die ideelle Förderung macht es Euch möglich, Euch in Bibliotheken zu vergraben, fundierte Wissenschaftler zu werden, auf Fachtagungen an Euren Schwerpunkten zu feilen, gleichzeitig Forschungsaufenthalte wahrzunehmen, die Euren kulturellen Horizont erweitern und Seminare zu besuchen, die sich mit Eurer Lebenswirklichkeit hautnah auseinander setzen. Und trotz alldem: In Positionen mit Verantwortung Akzente für das Praktizieren Eures Glaubens in Deutschland zu setzen.

Warum die Vision für das spätere Berufsleben nicht schon im ersten Semester entwickeln und an deren Realisierung stetig weiter arbeiten?

Warum nicht doch promovieren und das, wofür Ihr brennt, was Euch an eurem Fach besonders interessiert, spezialisieren und Euer Wissen der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen?

Wir alten Eisen beobachten mit viel Freude den großen Anklang, den der Start des AVICENNA-Bildungswerks unter euch RAMSAnern gefunden hat und bitten um weitere Verbreitung der Nachricht.

Nehmt euch zehn Minuten Zeit und überlegt, wer in Eurem Umfeld durch besondere Leistungen, und/oder Engagement aufgefallen ist oder besonders bedürftig scheint und fragt gezielt an. Auch diejenigen, mit nicht so herausragenden Noten sollen sich angesprochen fühlen, denn es ist nicht verwunderlich, wenn man im Studium nicht hundert Prozent geben kann, da man mehrere ehrenamtliche Posten übernommen hat und sich teilweise noch selbst finanzieren muss. Erkundigt Euch bei Avicenna über Eure ganz spezifische, persönliche Situation.

Wir empfehlen Euch auch, Euch über den Bewerbungsprozess bei anderen Studienwerken eindringlich zu informieren (mittels Websites) und bieten mittels unseres Pools an Stipendiaten auch  den ein oder anderen Tipp an für ein besonderes Gelingen Eurer Bewerbung.

Fühlt euch angesprochen, und motiviert andere!

Herzlicher Dank gilt allen Initiatoren und Mitwirkenden an dem Begabtenförderungswerk Avicenna.

Zum Video: Avicenna-Studienwerk | Fördern. Verbinden. Gestalten.