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Im Gedenken an Marwa El-Sherbini

01.07.2012

Der Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini jährt sich am 01. Juli zum dritten Mal. Die Ägypterin wird als das erste Opfer eines anti-islamischen Angriffes in Deutschland begriffen (s.a. RAMSA-Mitteilung aus dem Jahr 2009).

 

Gedanken von Dr. Sabine Schiffer zum Mord an Marwa El-Sherbini:

Audiobeitrag 

Wie alles geschah…

Am 1. Juli 2009 hat der damals 28-jährige Alexander Wiens im Landgericht Dresden die ägyptische Apothekerin Marwa El-Sherbini mit 16 Messerstichen getötet. Elwy Ali Okaz, der Ehemann des Opfers, als er seine im dritten Monat schwangere Ehefrau retten wollte und selbst ebenfalls Messerstiche erlitt, wurde versehentlich von einem Polizisten mit dem Täter verwechselt und ins Bein geschossen. Kurz darauf habe er das Bewusstsein verloren.

Der Täter beleidigte die kopftuchtragende Marwa E. als „Islamistin“ und „Terroristin“, als sie ihn auf einem Kinderspielplatz darum bat, die Schaukel für ihren kleinen Sohn frei zu machen. Er fuhr fort: Auch ihr kleiner Sohn werde, wenn er groß sei, ein Terrorist. Leute wie sie hätten in Deutschland nichts zu suchen. Daraufhin schritten einige Eltern auf dem Spielplatz ein und bewegten Marwa E. dazu die Polizei zu benachrichtigen.

Ende 2008 wurde Alexander W. zu einer Geldstrafe von 780 Euro wegen Beleidigung verurteilt. Er akzeptierte jedoch die Geldstrafe nicht. Die Staatsanwaltschaft legte aufgrund der milden Strafe der Richter und weiterer rassistischer und antimuslimischer Beleidigungen eine Berufung ein.

Im Verfahren am 1. Juli 2009 konnte Alexander W. seine Tatwaffe ungehindert in den Gerichtssaal mitnehmen. Sein Hass und seine Wut hatten ihn so verblendet, dass er 16 Mal in die schwangere Frau einstach. Marwa E. starb direkt am Tatort.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen fand der Prozess gegen Alexander W. vom 26. Oktober bis 11. November 2009 am Landgericht Dresden statt. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Gedanken von Dr. Silvia Horsch zum Mord an Marwa El-Sherbini:

Die Hintergründe

 

Die gesonderte Stellung des Islams und der Muslime in Deutschland ist bekannt. Dem ethnischen Hintergrund der Einzelnen wird keine Beachtung geschenkt. Er tritt in den Hintergrund. Die Muslime werden nach ihrer Religionszugehörigkeit zusammengefasst und eingestuft. Man spricht von den Griechen, Italienern, Russen, Polen und den Muslimen. Dies kann als ein Prozess der doing nationality verstanden werden, einer konventionellen Betrachtung des Islams als eine Ethnizität.

Die Begriffe, die beim Stichwort Islam oder Muslime fallen, sind immer dieselben: Gewaltbereitschaft, Zwangsverheiratung, Kopftuchzwang oder nicht leistungsfähige muslimische SchülerInnen, durch die Deutschland in der PISA-Studie schlecht abschneidet. Vielfach werden diese auch als „Integrationsverweigerer“ bezeichnet. „Ihre“ Religion, sprich der Islam, gehöre nicht zu Deutschland.

Erzeugt werden diese Vorurteile und Stereotypen hauptsächlich durch die Medien[1], die Politik, die sich nicht entscheiden kann, ob der Islam zu Deutschland dazugehört oder nicht und durch bestimmte PolitikerInnen, die u.a. meinen, dass „Multikulti“ tot sei, aber gleichzeitig von Integrationsverweigerern sprechen. Stereotype werden ausgenutzt, um Wählerstimmen zu gewinnen und zur Profilierung der PolitikerInnen.

Muslime werden stereotypisiert und mit Vorurteilen abgewertet, wodurch Mauern zwischen der allgemeinen deutschen Bevölkerung und diesen errichtet werden. Dies spiegelt sich in der Studie „Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt“ des Religionssoziologen Prof. Detlef Pollack wider. Im Ländervergleich Frankreich, Dänemark, Niederlande, Portugal und Deutschland stellte sich heraus, dass die deutsche Bevölkerung den wenigsten Kontakt zu Muslimen hat. Dadurch werden wiederum die eigenen Mauern nur noch bestärkt. So können mehr Vorurteile produziert und vorhandene bestärkt werden. Es ist ein Teufelskreis, der nie zu Ende zu gehen scheint.

Gedanken werden zu Taten

Marwa E. war eine Apothekerin. Ihr Ehemann Elwy Ali O. ist Stipendiat am Max-Planck-Institut für Zellbiologie. Sie haben eine Familie verkörpert, die dem verbreiteten Bild einer muslimischen Familie in Deutschland nicht entsprach. Trotz dessen waren sie in ihrem Alltag allein durch ihre Religion und ihrem ethnischen Hintergrund Diskriminierungen und Rassismus ausgesetzt. Diesem psychischen Druck sind viele Muslime in ihrem täglichen Leben unterworfen. Insbesondere muslimische Frauen fallen durch ihre Kopfbedeckung als Mitglied einer religiösen Gemeinschaft auf. Allein ein Blick, Getuschel oder Gelächter können „kleine tödliche Stichwunden“ im Alltag erzeugen.

Nun hatte Marwa E. das Recht in Anspruch genommen, das der Staat ihr gegeben hat und auf die rassistischen Beleidigungen Alexander W.s hin Anzeige erstattet.

Gleichzeitig wurden in der Zeit, wo die Prozesse stattfanden, auf den bekannten islamfeindlichen Internetseiten (PI-News, Grüne Pest, …) Hassbotschaften gegen Marwa E. veröffentlicht.

Die Folge war: der „E h r e n m o r d“ A l e x a n d e r W . s.

Als er den Mord beging, dachte er, dass er etwas Gutes für seine Nation tut. Durch diese Tat beabsichtigte er die „Ehre“ seiner Nation und seines Volkes zu retten. Anders Behring Breivik hatte mit seinem Massaker in Norwegen dasselbe im Sinn. Die Ursache warum sie dachten, dass sie gefährdet seien, liegt vor allem an den Medien, der Politik und den PolitikerInnen.

Ursprünglich sind die Motive jedoch ganz anders. Insbesondere Menschen, wie Alexander W. (arbeitsloser Lagerarbeiter) sind sehr stark gefährdet, die Lücken der Anerkennung und des Sozialprestiges, die durch das Scheitern im System entstanden sind, durch extreme Ideologien zu füllen. Er erhoffte sich ein Heldentum.

Das Modell Alexander W.s darf keineswegs auf ein Phänomen sozio-ökonomischer Schichten reduziert werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Polizist, der bei der Ermordung Marwa E.s missverständlich in das Bein des Ehemannes Elwy O.s schoss, möglicherweise dieselben Stereotype im Kopf hatte. Automatisch wurde „der Mann mit den schwarzen Haaren“[2]als Täter identifiziert.

Für die Zukunft…

Deutschland kennt die Folgen des Rassismus aus der eigenen Geschichte sehr gut.

R a s s i s m u s  t ö t e t !

Die NSU-Morde von 2000 bis 2006 und das Massaker von Anders Behring B. in Norwegen 2011 haben dies nochmal bestätigt.

Solche Taten, wie sie an Marwa E. verübt wurden, die NSU-Morde, das Massaker von Anders B., dürfen nie wieder passieren!

Dafür müssen sie vor der Vergessenheit bewahrt werden. Die Muslime und die Nicht-Muslime in der Gesellschaft müssen stärker in Kontakt zueinander treten. Damit „das Fremde“ zum Bekannten wird, müssen mehr und intensivere Dialoge geführt werden. Die Voraussetzung für einen Dialog ist das Interesse und die Bereitschaft zum Kennenlernen. Dabei sollten PolitikerInnen als Pioniere fungieren. Des Weiteren können Medien eine aufklärerische Funktion zum Islam und den Muslimen übernehmen.

Auf der anderen Seite müssen Muslime die Partizipationsmöglichkeiten in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft wahrnehmen, um den Prozess des Sich-Kennenlernens auf diese Weise zu fördern. Zugleich tragen sie zur Entwicklung des Landes bei. So lautet ein Ausspruch (Hadith) des Propheten Mohammed (Friede und Segen auf ihn):

„Der Beste unter euch ist derjenige, der der Menschheit am nützlichsten ist.“

Der Islam selbst fordert die Muslime auf, aktiv die Gesellschaft mitzugestalten.

Dadurch können Vorurteile und Stereotype abgelegt, d.h. die Mauern im Kopf zerstört werden. Nur so kann in Deutschland eine gesunde Gesellschaft entstehen.

[1] Z.B. durch islamfeindliche Seiten, in denen gezielt Spins erzeugt werden oder durch verzerrte und überspitzte  Medienberichterstattung

[2] Gemeint ist hier ein bestimmter Code, der im Unterbewusstsein abgespeichert wird

Von: Feride Celik