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Islamische Hochschulvereine - Mit Allah an der Uni
Kirchliche Studentengemeinden haben an den Hochschulen eine lange Tradition. Gläubige Muslime organisieren sich jetzt ebenfalls. Das soll auch dem Studienerfolg dienen.
"Um mich als Erstsemester in Bonn besser zurecht zu finden, ging ich direkt zur IHV, der Islamischen Hochschulvereinigung", sagt Lamya Al-Homsy. "Ganz einfach, weil ich aus einer muslimischen Familie komme." Ihre Mutter ist gebürtige Deutsche, der Vater Syrer, sie selber im Rheinland aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Asienwissenschaftlerin ist zweite Vorsitzende ihrer Bonner Hochschulgruppe. Zum engeren Kreis der besonders Aktiven gehören zwei Dutzend Studenten, überwiegend Einheimische mit deutschem Pass. Kein Wunder, sagt Al-Homsy, "wir kennen uns hier natürlich besser aus als Zugereiste aus dem Ausland." Speziell für diese bietet die IHV etwa Buddy-Programme mit älteren Semestern zum Eingewöhnen in Deutschland an. Al-Homsy selber organisiert besonders gerne Treffen mit der katholischen und evangelischen Studentengemeinde oder auch politischen Gruppen wie den Jusos. "So kann ich viele neue Leute und auch Andersdenkende kennenlernen, was ich bereichernd finde", erklärt sie ihr persönliches Engagement.
Bundesweit gibt es mehrere Dutzend lokale Muslim-Vereine wie den Bonner. Vor drei Jahren haben sie sich zum Rat muslimischer Studierender & Akademiker (RAMSA) zusammengeschlossen. Aktive und Ehemalige zählen zusammen ein paar Tausend. "Wir sind ein Netzwerk selbständiger Ortsgruppen", sagt RAMSA-Sprecher Bacem Dziri, "ohne übergeordnete Leitung wie etwa bei politischen Parteien". Das Netzwerk ist nicht national ausgerichtet, sondern wendet sich an alle Anhänger der Weltreligion. Und ist selbstverständlich auch in ganz studiennahen Fragen hilfreich: So sucht etwa ein Diplomand auf der gemeinsamen Website nach Infos für seine Examensarbeit über islamkonforme (zinslose) Finanzangebote im deutschen Geldmarkt.
Bei tiefer gehenden religiösen Fragen sieht sich Dziri am liebsten als Moderator in einer "weiten Spannbreite des innermuslimischen Dialogs". In diesem Spektrum könne härter miteinander diskutiert werden als in halbamtlichen interreligiösen Gesprächen. "Zu uns kommen auch traditionsverbundene Salafiten", etwa Sympathisanten des TV-bekannten Missionars Pierre Vogel, "aber genauso Muslimas ohne Kopftuch", so Dziri. Schriftbasierte Religionen eröffnen per se weite Interpretationsspielräume. Der Chef-Moderator wirkt bis ins modische Outfit mit Basecap und Dreitagebart selber ziemlich unorthodox. Neben dem Studium der Islamwissenschaften trainiert er in der Freizeit Volleyballer bei den Sportfreunden Bonn; darin folgt er seinem Vater, seit vielen Jahren Sport- und Kunstlehrer an einem Elitegymnasium der Bundesstadt.
Für Studierende wie Dziri und Al-Homsy ist Religion Privatsache, wie für Katholiken und Protestanten hierzulande auch. Dabei fügt der junge Muslim hinzu: "Das Jenseits ist die Kraft des Diesseits", wohlgemerkt ein Zitat des evangelischen Theologen Ernst Troeltsch. Tatsächlich sind die "Religiösen" – ob bekennende Christen, Muslime oder andere – überall eng verbandelt. Hier und da stellen kirchliche Studentengemeinden den Muslimen zum Beispiel einen Gruppenraum für die täglichen Pflichtgebete zur Verfügung. Lukas Roelli vom katholischen Forum Hochschule & Kirche sieht gemeinsame Interessen. "Hochschule ist kein religionsloser Raum" – schon weil moderne Wissenschaft auf direkter Auseinandersetzung mit religiöser Tradition beruhe.
Demgegenüber beharren die meisten staatlichen Hochschulen auf ihrer weltanschaulichen Neutralität. So stellt etwa die Technische Universität Hamburg-Harburg, weltweit bekannt wegen der 9/11-Attentäter aus ihrem Umkreis, bis heute niemandem einen Raum zur Religionsausübung zur Verfügung, auch nicht den Muslimen. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, sagt: "Jede Hochschule sollte das so regeln, wie sie es für angemessen hält." Anja Gadow erklärt für den bundesweiten Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften: "Zur Religion positionieren wir uns nicht." Der Sozialforscher Ulrich Heublein vom Hochschulinformations-System HIS sagt: "In den Untersuchungen über die Lage der Studenten tritt die Frage ihrer Wertorientierung tatsächlich zurück." Das hänge mit der primären Berufsorientierung des Studiums zusammen. "Weil es auf dem Campus weniger um Persönlichkeitsentwicklung geht", räumt Heublein ein, "ist auch ihre Erforschung leider ein blinder Fleck auf unserem Radar".
Das Jenseits war auf dem Campus schon mal sichtbarer. Zum Beispiel, als die Technische Hochschule Aachen vor einem halben Jahrhundert auf ihrem Gelände die Bilal-Moschee für muslimische Ingenieurstudenten baute, als Wahrzeichen der Internationalisierung. Dagegen wirkt der vor knapp einem Jahr vollendete "Raum der Stille" im Westend der Uni Frankfurt eher bescheiden, was auch daran liegen mag, dass man hier eben allen Konfessionen gerecht werden möchte. Religion ist offenbar an vielen deutschen Universitäten noch ein schweres Fremdwort, der Islam seit 9/11 zumal. "Trotzdem", sagt die Bonner Muslima Al-Homsy, "vor uns muss niemand Angst haben. Überzeugen Sie sich selbst!"
übernommen von Zeit Online (Zugriff: 28.11.2011) -
http://www.zeit.de/studium/hochschule/2010-03/muslimische-hochschulverba...