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Appell für einen starken Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und allen Formen der Diskriminierung

30.10.2024

Wir unterstützen den Appell des Rats für Migration (RfM) vom 30. Oktober 2024.

Mehr als 230 Migrationsforschende setzen sich im RfM für Antidiskriminierung und Chancengerechtigkeit an Hochschulen ein. Wir unterstreichen die akute Dringlichkeit!

Dringender Handlungsbedarf an Hochschulen in Deutschland:

Diskriminierungserfahrungen wie Antisemitismus, (antimuslimischer) Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung gehören seit langem zur Realität vieler Studierender. Der Rat für Migration fordert die systematische Stärkung von Antidiskriminierungsstrukturen, um dem entgegenzuwirken. Die Wissenschaftler:innen des Rats haben konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Solidarität statt Gegeneinander Stellen:

Betroffene von Diskriminierung dürfen – auch unbeabsichtigt – nicht gegeneinander ausgespielt oder in Konflikte gebracht werden. Nur durch solidarische Unterstützung können Hochschulen ein diskriminierungsfreies Umfeld schaffen!

Notwendige Maßnahmen für nachhaltigen Schutz:

  • Professionelle Antidiskriminierungsbeauftragte: Hauptamtliche, spezialisierte Beauftragte müssen als feste Stellen in Diversity- und Gleichstellungsbüros integriert werden.
  • Niedrigschwellige Beschwerdestellen: Diese müssen allen Hochschulangehörigen zugänglich und transparent gestaltet sein.

Diversity und Vernetzung als Grundpfeiler
Stärkung der Diversity- und Gleichstellungsbüros:

  • Durch Vernetzung werden Synergien geschaffen, die den Diskriminierungsschutz verbessern.
  • Diversität im Team: Um Vertrauen zu fördern, sollten die Beauftragten möglichst diverse Hintergründe haben und vulnerablen Gruppen angehören.

Einbeziehung aller Hochschulangehöriger:

Hochschulen tragen die Verantwortung, nicht nur interreligiöse Dialoge zu fördern, sondern den Schutz aller – ob religiös oder nicht – zu gewährleisten. Menschen sollten proaktiv zusammengebracht werden. Für RAMSA gehören dazu Safer und Braver Spaces für alle Betroffene, auch fernab der Öffentlichkeit.

Gesetzliche Verankerung & Menschenrecht:
Diskriminierungsschutz ist ein Menschenrecht! Antidiskriminierung ist ein Menschenrecht! Wir benötigen eine rechtliche Grundlage für Diskriminierungsschutz in allen Hochschulgesetzen. Um diesen zu sichern, müssen klare rechtliche Vorgaben für Studierende, Beschäftigte und Universitäten durch Landes- und Bundesgesetze geschaffen werden. Es ist höchste Zeit!

Nutzt die Dokumentationsstelle des RAMSA e.V.
An unsere Community: Seit unserer Gründung dokumentieren wir Diskriminierungsfälle. Wir waren ab 2012 offizielle Anlauf- und Beratungsstelle bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und haben community-basiert beraten. Nutzt als Studierende, Akademiker:innen und Hochschulgruppen die Dokumentationsstelle des RAMSA e.V. und meldet uns eure Fälle, damit sie erfasst werden. Die Dunkelziffer ist viel höher - das wissen wir alle.

 Konstruktiver Austausch
Wir stehen allen Stakeholdern konstruktiv und mit unserer langjährigen Expertise zur Verfügung. Unser Ziel ist es, den Campus zu einem sicheren, integrativen und inklusiven Ort für ALLE Studierende zu machen.

Den Text des Appells finden Sie nachfolgend als Fließtext oder hier als PDF:

Der Rat für Migration ist ein unabhängiger Verein von über 230 Migrationsforschenden, die vielfach an Querschnittsthemen wie Antirassismus, Antisemitismus, Chancengerechtigkeit und Bildung an Hochschulen arbeiten. Unterstützt wird dieser Appell des RfM durch den Rat muslimischer Studierender und Akademiker RAMSA e.V.. Wir begrüßen die Ankündigung vieler Hochschulen, den Diskriminierungsschutz durch die Berufung von Beauftragten zum Schutz vor Antisemitismus auszubauen, wie dies auch das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender fordert. Der dringende Appell des Rats bezieht sich auf die praktische Umsetzung.

Der Bedarf an der Stärkung von Antidiskriminierungsstrukturen an deutschen Hochschulen besteht seit geraumer Zeit. Auch wenn aktuelle Landtagswahlen und die Auseinandersetzungen an Hochschulen um Antisemitismus, die massive Gewalt, Terror und Kriegsverbrechen in Israel/Palästina und die Rolle Deutschlands dabei die Dringlichkeit steigern, so sind doch Antisemitismus und (Antimuslimischer) Rassismus bereits länger und konstant Teil der Gesellschaft. Daher sind auch Hochschulen keine „Schonräume“ (Springsgut 2021). Die aktuelle Befragung des Netzwerks Jüdischer Hochschullehrender und die 2019 in Kooperation mit dem Rat Muslimischer Studierender und Akademiker RAMSA durchgeführte Befragung (Supik 2019) zeigen dies. Was sich heute in lauten Protesten und Aktionen äußert, findet bereits seit langem Ausdruck in alltäglichen, jedoch kaum skandalisierten Erfahrungen von Diskriminierung, Benachteiligung und Belästigung an Hochschulen. 2021 befragte etwa das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung 18.000 Studierende bundesweit zu ihren Diskriminierungserfahrungen und zu beobachteter Diskriminierung. Gut jede vierte befragte Person hatte bereits Diskriminierung erlebt, die sich auf eines oder mehrere der Merkmale Geschlecht, sprachliche Ausdrucksweise, soziale Herkunft, Migrationshintergrund, körperliches Erscheinungsbild, sexuelle Orientierung, religiöse Zugehörigkeit, Elternschaft bezog; Diskriminierung beobachtet hatte jede:r Zweite. Besonders Studierende mit Migrationshintergrund machen signifikant häufiger als andere negative Erfahrungen an Hochschulen und haben unverhältnismäßig oft sogar körperliche Gewalt und Beleidigungen erlebt.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass Diskriminierung sich zwar auf individueller Ebene und interaktionell äußern kann, aber nicht darauf zu reduzieren ist. Um Mechanismen und Formen von Diskriminierung begreifen und ihnen entgegen wirken zu können, müssen institutionelle und strukturelle Bedingungen an unseren Hochschulen eingebunden werden. Nur mit einem umfassenden horizontalen und intersektionalen Blick auf alle diese Diskriminierungsdimensionen kann angemessene Antidiskriminierungsarbeit geleistet werden. Daher sollten für den wirksamen und nachhaltigen Schutz vor Antisemitismus an Hochschulen nicht in einer isolierten, kurzfristig öffentlichkeitswirksamen („Feigenblatt“)-Maßnahme Beauftragte berufen werden. Stattdessen muss der Schutz vor Antisemitismus, wie an einigen Hochschulen bereits konzipiert, als integraler Bestandteil von Antidiskriminierungsarbeit gesehen und in bestehende Antidiskriminierungs- und Diversityinfrastrukturen an den Hochschulen aufgenommen werden. Wie wir im Rat für Migration in unserer aktuellen Debatte diskutieren, sollte Antisemitismus wie Rassismus und andere Formen von Diskriminierung und jedwede Menschenfeindlichkeit dabei auf institutioneller Ebene verstanden, bearbeitet und bekämpft werden. Damit gewährleisten, stärken und sichern die Hochschulen Diskriminierungsschutz dauerhaft für all ihre Angehörigen – Studierende, Wissenschaftliches und nicht wissenschaftliches Personal – und können professionell Studienerfolg und Arbeitszufriedenheit aller Hochschulangehörigen verbessern. Dies wäre gelebter und konkreter Grund- und Menschenrechtschutz, dessen Gewährleistung für Alle eine Bedingung für erfolgreiches Studium und exzellentes Forschen und Lehren ist.

1. Hauptamtliche & professionelle Beauftragte für institutionell nachhaltigen Diskriminierungsschutz

Professionelle Antidiskriminierungsarbeit kann nicht durch Neben- oder ehrenamtliche Beauftragte ersetzt werden, auch nicht an kleineren Hochschulen. Es braucht feste Planstellen, die innerhalb der horizontal (d.h. für alle Diskriminierungsdimensionen) und intersektional arbeitenden Diversity- und Gleichstellungsbüros nicht nur personenbezogen bestehen. Hochschulen ohne Diversitystellen oder Antidiskriminierungsbeauftragtenstellen sollten diese Stellen mit den erforderlichen Befugnissen, im Bestfall unabhängig einrichten und mit Mitteln für Büros und Personal versehen und ein kontinuierliches qualifiziertes Beratungsangebot zu allen Diskriminierungsdimensionen sicherstellen. Damit werden Insellösungen durch ein ehrenamtliches Beauftragtenwesen überflüssig. Professionalisierung beugt der Gefahr vor, dass Personen mit rechten Einstellungen versuchen, ehrenamtliche Stellen als Beauftragte zum Schutz vor Antisemitismus zu besetzen, um selbst Diskriminierungen zu verstärken und Hochschulangehörige unterschiedlich marginalisierter Communities gegeneinander auszuspielen.

Neben einer niedrigschwelligen, anonym zugänglichen, vertraulichen Beratungsinfrastruktur für alle Statusgruppen und alle Diskriminierungsdimensionen, empfiehlt sich separat dringend die Einrichtung und der Ausbau der Beschwerdestellen nach AGG und deren Öffnung für Studierende. Auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 13 AGG) sind Hochschulen verpflichtet, entsprechende Beschwerdestellen für Beschäftigte einzurichten, zudem müssen in der Mehrheit der Bundesländer auf Grundlage der Landeshochschulgesetze auch Beschwerdestellen für Studierende verfügbar sein. Diese Stellen müssen bekannt und erreichbar sein und das Beschwerdeverfahren transparent und strukturiert aufgebaut sein. Aktuell ist das einer Bestandsaufnahme des Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge bei weitem nicht an allen Hochschulen der Fall. Ehe Betroffene als letzten Ausweg zu einer Klage schreiten müssen, können die Hochschulen bereits viele Beschwerdeanlässe (auch unterhalb der justiziablen Schwelle) in den dafür vorgesehenen AGG-Beschwerdestellen bearbeiten und durch professionell aufzubauende Strukturen der wertschätzenden Konfliktbearbeitung für ein Hochschulklima wirken, das für das Studieren, Lehren und Forschen aller Hochschulmitglieder förderlich ist. Empfehlenswert ist darüber hinaus ein (anonymisiertes) Melde- und Berichtswesen für Beschwerdefälle, mit einer regelmäßigen Berichtspflicht gegenüber der Hochschulöffentlichkeit und einer Weitermeldung der Fälle zum Zweck der Dokumentation und Berichterstattung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

2. Vernetzung und Austausch von Diversity- und Gleichstellungsbüros fördern

Diversity Policies an Hochschulen sollten auf festen rechtlichen Füßen stehen – da, wo es bereits Gesetzesvorgaben gibt: Für die Arbeitnehmer:innen an den Hochschulen gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Hochschulen müssen jedoch nicht auf die (Landes-)Gesetzgeber warten (siehe Punkt 4). Die bestehenden Diversity-, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsbüros sollen in ihrer Arbeit durch Vernetzung gestärkt werden. Einige Hochschulen gehen bereits diesen Weg und binden auch Schwerbehindertenbeauftragte ein. Auch die nach AGG verpflichtende Beschwerdestelle für Arbeitnehmer:innen und Antidiskriminierungsberatungsstellen, die an einzelnen Hochschulen bestehen, sollten zentraler Teil dieses Netzes sein. Es ist wünschenswert, dass sich diese Netzwerke verstärkt der Antidiskriminierungsarbeit zuwenden.  Wo Schutz vor Antisemitismus dabei noch nicht mitgedacht ist, muss er einbezogen und als Diskriminierungsdimension deutlich sichtbar gemacht werden. Der Schutz vor Antisemitismus und (anti-Muslimischem) Rassismus muss in den Rahmen bestehender Antidiskriminierungs- und Diversitystrukturen an allen Hochschulen integriert werden. Notwendig ist eine gute Vernetzung aller mit Diversity und Gleichstellung befassten Stellen, damit Verweissysteme funktionieren und Synergien intersektional (Geschlecht, Herkunft, Ableism und weitere) nutzbar gemacht werden.

Das Beauftragtenwesen sollte dazu zentral organisiert sein. Nur so kann lähmende Konkurrenz zwischen Antidiskriminierung und (Geschlechter-)Gleichstellung um Ressourcen vermieden werden. Gesetzliche Grundlagen dafür sind zu schaffen.

3. Diverse Besetzungspraxis für Teams der Diversity- und Gleichstellungsbüros

Was für die Hochschulen eine Richtlinie sein sollte, ist für die Diversity-, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsbüros ein Muss:  Die Diversität der Mitarbeitenden muss alle vulnerablen marginalisierten Gruppen repräsentieren. Ratsuchende in Fällen von Diskriminierung wenden sich eher vertrauensvoll an professionelle Personen, die den gleichen vulnerablen Communities angehören, dies zeigt die Praxis. Im Hochschulalltag können Diskriminierungserfahrungen intersektional sein, und seitens der Betroffenen ist im Falle von Belästigung, Benachteiligung oder Ausgrenzung nicht immer klar, ob dahinter Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Klassismus oder eine Mischung davon stehen.

Offensichtlich kann nicht eine Antidiskriminierungsbeauftragte alle Diskriminierungsmerkmale in sich vereinen. Genauso wenig können alle Ausschlussdimensionen mit je einer Stelle besetzt werden, umso wichtiger ist die Arbeit im Team und enge Vernetzung. Ein positives Beispiel ist die Universität Köln, in der mehrere Posten für verschiedene Diskriminierungsdimensionen eingerichtet wurden.

4. Religiöse Hochschulangehörige, Theologien und Hochschulgemeinden einbeziehen, aber die Themen Antisemitismus und anti-Muslimischen Rassismus nicht bei den Theologien „abladen“

Vielerorts findet gute Zusammenarbeit religiöser Studierendengemeinden statt, wie zum Beispiel studentische Cafe Abraham Initiativen. An der Universität Münster stehen der Beauftragte gegen Antisemitismus und das Zentrum für Islamische Theologie im regelmäßigen Austausch und führen eine gemeinsame Ringvorlesung durch. Beim Schutz vor Diskriminierung stehen jedoch Hochschulen als Ganze in der Pflicht und dürfen die Theologien nicht allein lassen, denn die Aufgabe ist weit mehr als „interreligiöser Dialog“. Es gilt, religiöse und säkulare Hochschulangehörige gleichermaßen zu adressieren. Nicht alle Juden:Jüdinnen an Hochschulen sind religiös und erreichbar über Angebote aus der Theologie, ebenso wenig wie Hochschulangehörige muslimischer oder christlicher Familienherkunft. Von Antisemitismus betroffen sind jedoch alle Menschen jüdischer Herkunft, egal ob religiös oder nicht. Ebenso sind nahezu alle Menschen von anti-Muslimischem Rassismus betroffen, die als Muslim:innen wahrgenommen werden.

5. Rechtliche Grundlage für Diskriminierungsschutz an Hochschulen über Landesantidiskriminierungsgesetze ausbauen

Die Gesetzgeber:innen müssen dafür sorgen, Diskriminierungsschutz auch für Studierende in Hochschulgesetzen zu verankern (wie in zehn Bundesländern bereits geschehen), und Landesantidiskriminierungsgesetze in allen Ländern (bisher nur Berlin) zu verabschieden. Aufgrund der fehlenden Gesetzesgrundlage auf Länderebene setzt Deutschland europäische Antidiskriminierungsrichtlinien beklagenswerter Weise bisher nur unzureichend um. Hochschulpersonal ist bereits durch das AGG geschützt, es fehlt jedoch ein einfaches Gesetz im öffentlichen Recht auf Landesebene, das explizit das Diskriminierungsverbot zwischen Staat und Bürger:innen, z.B. im öffentlichen Bildungswesen, wie den Hochschulen regelt. Antidiskriminierung muss in den Hochschulgesetzen der Länder und auf Bundesebene durch das Hochschulrahmengesetz verankert werden.

6. Weiterbildungsprogramm für wissenschaftliches und administratives Personal, Hochschullehrende und Führungskräfte

Empfehlenswert sind zudem die

  • Sensibilisierung aller Hochschulangehörigen für diskriminierungskritische Perspektiven, Haltungen, Sprech- und Vorgehensweisen und Aufnahme entsprechender Angebote in etablierte Fortbildungskataloge für Mitarbeiter*innen und Lehrende.
  • Verzahnung entsprechender Weiterbildungsprogramme und Angebote des Personalmanagements zu Diskriminierungskritik und Diversitätsreflexivität mit hochschulischen Organisationsentwicklungsprozessen. Personalentwicklung als Teil von Organisationsentwicklung gestalten, um konkrete Prozesse diskriminierungskritischer Transformation von Hochschulen anzustoßen und zu ermöglichen.
  • Integration eines Beratungs- und Unterstützungsangebotes für diskriminierungserfahrene Hochschulangehörige in vorhandene Angebote des Personalmanagements (unabhängige Beratung durch den*die Antidiskriminierungsbeauftragte*n, Integration in die Peer-to-Peer-Strukturen für Studierende und Beschäftigte bzw. in den „Beratungs- und Unterstützungsnavigator“, Initiierung von Austausch- und Gesprächsforen).