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Einordnungen des RAMSA zur Debatte um muslimische Hochschulgemeinden und Geschlechtertrennung

23.07.2025

Einordnungen des RAMSA zur Debatte um muslimische Hochschulgemeinden

Muslimische Studierende nicht unter Generalverdacht stellen.

Universitäre Lehrräume sind keine Orte ritueller Praktiken oder Predigten einzelner Religionsgemeinden, sondern Räume des ergebnisoffenen Wissensaustauschs und sollten als solche gepflegt werden. 

Beratungsverein warnt zusätzlich vor Polarisierung und fordert mehr Aufklärungsarbeit an Hochschulen. 

Berlin, 23. Juli 2025Anlässlich jüngster Debatten über muslimische Hochschulgemeinden - insbesondere in Kiel und Berlin - mahnt der Verein zur Beratung muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA e. V.) zu mehr Differenzierung, Sachlichkeit und Bildungsarbeit. Muslimische Studierende sind Teil der pluralen Hochschulrealität – sie verdienen Schutz vor Pauschalverdacht und Diskriminierung.

Bereits im Frühjahr 2024 hat sich RAMSA proaktiv an politische Entscheidungsträger gewandt und auf Herausforderungen und Spannungsfelder im Umgang mit religiöser Vielfalt an Hochschulen hingewiesen. Gleichzeitig wurde konkrete Unterstützung angeboten, um muslimische Studierende im Umgang mit religiösem Pluralismus, antimuslimischer Diskriminierung und dem Schutz vor ideologischer Einflussnahme, z.B. aus Richtung der Muslimbruderschaft oder Hizb-ut-Tahrir zu stärken. 

Einfluss ideologischer Akteure: Wachsamkeit statt Alarmismus


Nach Einschätzung des RAMSA ist der ideologische Einfluss extremistischer Gruppen wie der Muslimbruderschaft an Hochschulen zwar vereinzelt vorhanden, aber nicht zu unterschätzen. Oft zeigt er sich subtil und unscheinbar – etwa durch eine überproportionale Präsenz islamistischer Akteure. Extremistische Gruppen wie die Muslimbruderschaft oder Hizbut Tahrir haben ein Interesse daran, Einfluss auch auf Studierende auszuüben. Dies beabsichtigen sie durch thematisch anschlussfähige Angebote oder logistische Unterstützung. In den meisten Fällen handelt es sich um Versuche, eine ideologische Anschlussfähigkeit herzustellen. Wir sehen derzeit durchaus einen Bedarf, einer weiteren Einflussnahme Einhalt zu gebieten. Dies durch gezielte, besonders auch innermuslimische, Aufklärung über Akteure und ihre Strategien. Dies gelingt nachhaltig nicht über die Köpfe der Studierenden hinweg, sondern mit und durch sie im Rahmen des Beutelsbacher Konsenses. Sensibilisierte Hochschulgemeinden haben sich in der Vergangenheit erfolgreich gegen solche Vereinnahmungsversuche gewehrt und tun dies auch heute schon. Doch nach der Pandemie fehlt es an flächendeckender Bildungsarbeit – ein Vakuum, das einzelne ideologisch motivierte Akteure nutzen konnten.

Der RAMSA hat Formate, Konzepte und Materialien entwickelt, um muslimische Studierende in der Entwicklung ihres Bildungsprofils und dem Engagement an Hochschulen zu unterstützen sowie vor Vereinnahmungen zu schützen. Der Verein selbst wurde dadurch wiederholt Zielscheibe ideologisch motivierter Angriffe – gerade weil er sich ablehnend und kritisch gegenüber ideologischen Gruppierungen auch aus dem Bereich des legalistischen Islamismus wie der Muslimbruderschaft oder Extremisten der Hizb-ut-Tahrir positioniert.

Geschlechtertrennung: Kulturelle Praxis, kein pauschales Extremismus-Merkmal


Der RAMSA hat sich in der Vergangenheit mehrfach deutlich gegen religiös begründete Geschlechtertrennung, insbesondere an Hochschulen, ausgesprochen. Er bietet klare Leitlinien zur Förderung von Diversität, Gleichwertigkeit und Freiwilligkeit. 

Eine verordnete Geschlechtertrennung bei Veranstaltungen ist nach Einschätzung des RAMSA häufig Folge persönlicher religiöser oder kultureller Überzeugungen oder resultiert daraus, dass Studierende glauben, bestimmten Maßstäben genügen zu müssen: Es ist nicht zwingend ein Zeichen für Aktivismus oder Ideologie. Eine pauschale Einordnung solcher getrenntgeschlechtlicher Sitzordnungen als extremistisch ist verfehlt, da sie mitunter in unbedachter Imitation gemeindlicher Praktiken erfolgt, die von der Religionsfreiheit geschützt sind. Da Vorlesungen und ähnliche Angebote an Hochschulen allerdings keinen Teil der Religionsausübung darstellen, muss die freie Sitzwahl möglich sein. Solange die Sitzwahl aber individuell gewählt bleibt, freiwillig und ohne Zwang geschieht, können sich Studierende selbstverständlich so setzen, wie sie es möchten. 

Problematisch wird es, wenn in Hochschulsälen ein ausdrücklicher oder auch subtiler, struktureller Zwang ausgeübt wird – hier sind insbesondere die Vorstände der Hochschulgemeinden gehalten, freie Denk- und Handlungsbedingungen zu ermöglichen und wo es geboten ist, Stellung zu beziehen. Selbst im Kontext geschützter Religionsfreiheit sollten Studierende auch gleichzeitig die Wirkung auf andere im Raum Hochschule mitdenken und Vorstellungen etwa der Universitätsleitung beachten und mit anderen im Austausch bleiben. Die Wahrnehmung von Rechten ist in einer demokratischen, pluralen Gesellschaft ein andauernder Prozess der Aushandlung aller betroffenen Akteure.

Die Religionsfreiheit stellt es Synagogen, Kirchen oder Moscheen frei, eine bestimmte Sitzordnung einzuhalten, insbesondere bei rituellen Praktiken. Universitäre Lehrräume jedoch sind keine Orte ritueller Praktiken oder Predigten einzelner Religionsgemeinden, sondern Räume des ergebnisoffenen Wissensaustauschs und sollten als solche gepflegt werden. 

Medienverantwortung: Polarisierende Narrative vermeiden

Einzelne Online-Portale neurechten Einschlags wie "Nius" und "Apollo News" bedienen sich bewusst emotionalisierender Darstellungsmuster. Statt ganzheitlich zu informieren, tragen sie zur Skandalisierung bei – auf Kosten eines sachlichen, faktenbasierten Diskurses. Dort werden Einzelfälle ausgewählt, aneinandergereiht und zur Verallgemeinerung der Empörung freigegeben. Muslimische Studierende wurden dadurch homogenisiert und pauschal unter Verdacht gestellt. Diese Narrative haben an einem differenzierten, gesellschaftlichen Dialog kein Interesse, schüren Angst und Misstrauen und schaden dem Zusammenhalt. Antimuslimische Agitationen dürfen über den Umweg berechtigter Kritiken nicht salonfähig gemacht werden. Vordergründig zielen sie auf die vulnerable Gruppe muslimischer Studierender, übergeordnet aber verfolgen sie das Ziel der gesellschaftlichen Polarisierung. 

Begleitung statt Kontrolle - das Konzept des RAMSA

Hochschulen sind weiterhin gefordert, (Diskurs-)Räume für religiöse Selbstreflexionen ebenso wie den Schutz vor Radikalisierung und Ausgrenzung zu schaffen. Der RAMSA steht bereit, hochschulnahe Akteure dabei beratend zu begleiten – in der Entwicklung von Leitlinien, Awareness-Angeboten und Fortbildungen.

RAMSA ist eine beratende, nicht regulierende zivilgesellschaftliche Anlaufstelle. Angesichts begrenzter Ressourcen war eine Rücknahme präventiver Arbeit in den letzten Jahren seit der Corona-Pandemie unvermeidlich – ein Risiko, das der RAMSA auch gegenüber dem Bund wiederholt benannt hat.

Muslimische Studierendengemeinden in Deutschland leisten, wie evangelische, katholische und jüdische Hochschulgruppen, wertvolle Bildungs-, Dialog- und Gemeinschaftsarbeit. Was sie brauchen, ist keine pauschale Verdächtigung, sondern eine konstruktive Einbindung in die Wertegemeinschaft ihrer Hochschulen. Die Kritik an religiöser Praxis ist in einer offenen Gesellschaft legitim – aber sie muss differenziert, respektvoll und frei von politischen Kampfbegriffen erfolgen. Und sie darf ihrerseits nicht anderen extremistischen Strömungen, etwa der extremen Rechten, als Vorwand dienen, um Spaltung und Polarisierung voranzutreiben. 

Wir fordern: Junge Muslime dürfen nicht alleingelassen werden – weder gegenüber ideologischer Einflussnahme noch gegenüber öffentlicher Stigmatisierung. Gerade jetzt braucht es verlässliche Strukturen, Bildungsangebote und politische Verantwortung, um Pluralität zu stärken und Radikalisierung wie Ausgrenzung präventiv zu begegnen. 

Weitere Informationen & Kontakt:
RAMSA e. V. – Rat muslimischer Studierender & Akademiker e.V.
Email: info[at]ramsa-ev.de  Website www.ramsa-ev.de Instagram: ramsa_de

Der Rat muslimischer Studierender & Akademiker (RAMSA) ist ein politisch und religiös unabhängiger, gemeinnütziger Verein muslimischer Studierender und Akademiker und kümmert sich vor allem um Belange muslimischer Studierender an deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Er verfügt über keine institutionelle Bindung an muslimische Hochschulgemeinden oder religiöse Einrichtungen.

Die Arbeit basiert ausschließlich auf Grundlage unserer Satzung, den Grundsatzhaltungen, und Positionspapieren sowie im Rahmen zivilgesellschaftlicher Verantwortung. 

Weiterführende Informationen:

 

Interreligiöses Positionspapier 2019 zu Religion an der Hochschule: https://www.ramsa-ev.de/sites/default/files/sites/default/files/religion_an_der_hochschule_interreligioses_positionspapier_a.pdf

Religionsmonitor 2023 Bertelsmann Stiftung "Antimuslimische Vorbehalte: differenziertes Wissen beugt Diskriminierung vor". Dr. Yasemin El Menouar:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/religionsmonitor/projektnachrichten/religion-staerkt-solidaritaet-in-der-gesellschaft-1

Veranstaltung “Mehr als forschen und lehren? - Religion an der Hochschule” vom Januar 2024 https://www.ramsa-ev.de/ramsa-mitteilungen/veranstaltung-mehr-als-forschen-und-lehren-religion-an-der-hochschule-am-18 zum Spannungsverhältnis

Studie “Muslime an deutschen Hochschulen”: https://www.stiftung-mercator.de/de/publikationen/muslime-an-deutschen-hochschulen/ 

Sammelband: Rötting, Martin (Hrsg): Die ganze Welt am Campus!? : Kulturelle und religiöse Diversitäten: Situationen und Perspektiven mit einem Beitrag über Muslimische Studierende an deutschen Hochschulen. 2012.