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Studie zu Islamophobie an Deutschen Hochschulen: Prof. Wassilis Kassis im Interview!

Farah Bouamar
26.03.2014

Zu glauben man sei weitestgehend vorurteilsfrei, bedeutet noch lange nicht, dass man es auch wirklich ist. Erst durch eine klare Distanzierung von grenzwertigen Aussagen, die einen diskriminierenden Tenor innehaben, kann eine nüchterne und vorurteilslose Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen in einer plurikulturellen und -religiösen Gesellschaft geformt werden. Zweifelsohne gilt dies auch für den universitären Betrieb. 

Im Rahmen einer gemeinsamen Studie der Universität Osnabrück und der University of Victoria in Kanada aus dem Jahre 2013 ging hervor, dass sich auffallend wenige Studierende deutlich genug von Antisemitischen und Anti-Muslimischen Äußerungen distanzieren.

Längst hatte ich diesen Verdacht gehegt, als ich mein Studium der Germanistik vor zwei Jahren an der Universität Paderborn begonnen hatte.

Tatsächlich: Alltagsdiskriminierung ist auch an Hochschulen omnipräsent und damit meine ich nicht nur das Phänomen der „positiven Diskriminierung“.

Die Studie hat im Grunde genau das bestätigt, was ich unterbewusst bereits seit Jahren vermute, nämlich, dass es in der Universität in Sachen Voreingenommenheit nicht unbedingt anders zugehen muss als in der Mehrheitsgesellschaft. Vermutungen, die durch bestimmte Erfahrungen, Vorfälle und Ereignisse in der Universität bedingt wurden. Beispielsweise die Konstatierung, dass man relativ gut Deutsch spräche, nachdem man eloquent auf eine Frage antwortete oder die Überzeugung der Kommilitonen/innen, dass Muslime eine genuine geistige Zurückgebliebenheit und Gewalttätigkeit mit sich bringen. 

Laut der Osnabrücker Studie sind Muslime schließlich von den empirisch nachgewiesenen Vorurteilen am intensivsten betroffen. Gleichzeitig sind sie es, die tagtäglich mit den vorurteilsbelastenden Situationen konfrontiert werden.

In meinen eigenen Texten und Bühnenauftritten als Slam Poetin („i,Slam“) beschäftige ich mich primär mit dieser Thematik und versuche, nicht ganz ohne Ironie und Sarkasmus, zu veranschaulichen, wie es ist einer „markierten“ Gruppe anzugehören. Dabei ist mir besonders wichtig aufzuzeigen, wie fatal eingeschränkte, oberflächliche und undifferenzierte Betrachtungsweisen und Ressentiments eines Jeden sein können und wie kontraproduktiv sie letztlich für ein gesundes gesellschaftliches Miteinander sind.  

Bedauerlicherweise haben die Ergebnisse der Studie meine Befürchtung, nämlich, dass Studierende nicht vor vorurteilsbelastenden Tendenzen geschützt sind, bestätigt. Daraufhin wollte ich mehr darüber erfahren – und zwar aus allererster Hand und konsultierte den Osnabrücker Forscher, Herrn Prof. Dr. Wassilis Kassis, der bald auf meine Interviewanfrage reagierte und es zu einem sehr spannenden und aufschlussreichen Interview kam...

 

Das Interview:

Farah Bouamar:

Was war ihre Motivation diese Studie anzugehen?

Prof. Dr. Kassis:

Einerseits unsere Vorstudien zu sozialen Vorurteilen, die sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen ein erschreckend hohes Ausmaß sozialer Vorurteile, hier entweder Antisemitismus oder Ausländerfeindlichkeit, gezeigt haben. Interessanterweise wiesen diese Ergebnisse darauf hin, dass weder die spezifische Länderstichprobe noch die Schichtzugehörigkeit der Jugendlichen eine besondere Variable waren, die diese Vorurteile maßgeblich beeinflusst hätten. Wir haben uns gefragt, wie es bei den Studierenden aussieht. Interessanterweise gibt es hierzu fast keine Untersuchungen.

Wir gehen davon aus, dass dies mit der Annahme zusammenhängt, dass ein akademisches Studium vor sozialen Vorurteilen schütze oder sie zumindest minimiere.

Deswegen haben wir versucht diese Studie nicht einzig in Deutschland, an der Universität Osnabrück durchzuführen, sondern sie auch international vergleichend an der Westküste Kanadas vorzunehmen, um in einen ganz anderen Kontext reinzublicken.

Eine Gesellschaft dort, die sehr stark durch Migration gekennzeichnet ist. 97 Prozent der Personen haben dort einen sehr deutlichen Migrationshintergrund, nur 3 Prozent sind quasi die Einheimischen.

Zugleich haben sie auch eine gänzlich andere Migrationspolitik, die sogenannte Willkommenskultur. Auch ihre Einstellung gegenüber Migrantinnen und Migranten, wenn sie schließlich in das Land zugelassen werden, ist eine andere.

Dahingehend wollten wir eigentlich zwei sehr unterschiedliche gesellschaftliche Zusammenhänge vergleichen. Die Ergebnisse belehrten uns eines Besseren: Sie zeigten zwar sehr wohl auf, dass diese Daten unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten entstanden sind, die Vorurteile dagegen sich auf einem sehr ähnlichen Niveau bewegen. Es gibt teilweise signifikante Unterschiede, diese sind jedoch praktisch unbedeutsam. Demnach kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisse ziemlich gleich ausfallen. Und zwar sehr wohl bezogen auf Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, wie auch die hier zur Diskussion stehenden antimuslimischen Vorurteile.

Wie ist ihre Vorgehensweise bei der Entwicklung Ihrer Fragen gewesen. Gab es bestimmte Kriterien, nach denen sie sich richteten?

Ja klar, wir haben einerseits versucht an die internationale Vorurteilsforschung anzudocken, hier seien insbesondere die Kollegeninnen und Kollegen Heitmeyer und Zick aus Bielefeld zu nennen, an die wir uns sehr stark orientiert haben. Wir sind wie die Kollegen dort davon ausgegangen, dass man für die Studie ausdrückliche und explizite Vorurteile formulieren muss, um keine Grauzone zu beschneiden. Deutliche Fragen sollten es sein, die als solche über die objektiven Daten ganz klar als Vorurteile erkannt wurden.

Ich muss zugeben, dass wir die Fragen nach der Übernahme teilweise auch wieder veränderten, weil diese fast unzumutbar waren, so deutlich, so kantig waren und sind diese Items.

Diese Vorgehensweise war uns aber ganz wichtig, aus theoretischen und aus auch empirischen Gründen. Wir gingen davon aus, dass die sogenannte geistige „Derangierung“ dort schon beginnt, wenn eine Aussage wie: „Ich weise eine Sache nicht gänzlich und ganz stark von mir ab!“ getätigt wird. Das haben wir auch so entwickelt.

Interessant war die Reaktion der Kollegin aus Kanada, Charlotte Schallié, mit der ich diese Studie gemeinsam gemacht habe. Sie meinte anfänglich, dass man die formulierten Fragen unmöglich so ins Englische übersetzen und schon gar nicht kanadischen Studierenden vorlegen könne, weil sie so rüde, so unfreundlich, ja fast beleidigend seien. Interessant war in diesem Kontext auch dieses Hinterforschen im interkulturellen Zusammenhang; wie formuliert man Fragen, wenn man ausdrückliche soziale Vorurteile erheben möchte. Wir haben schließlich die Items nach leichten Anpassungen in dieser eher rüden Form den kanadischen Studierenden vorgelegt. Und ich muss sagen, zum Erschrecken der Kollegin Schallié , waren auch dort die Vorurteile sehr - wirklich sehr deutlich zu erkennen.

Die formulierten Items zu den antimuslimischen Vorurteilen waren folgende:

1. Muslime provozieren Muslimfeindlichkeit durch ihr Verhalten.

2. Deutsche Frauen sollten keine Muslime heiraten.

3. Muslime in Deutschland sind krimineller als andere Deutsche.

4. Es sollten weniger muslimische Einwanderer nach Deutschland gelassen werden.

5. Wenn Muslime hier leben wollen, müssen sie sich stärker in unsere Gesellschaft  integrieren.

6. Es gibt zu viele Muslime in Deutschland.

7. Die muslimische Kultur ist ein wichtiger Teil Deutschlands. (R)

8. Die hohen Geburtenziffern der muslimischen Frauen weisen darauf hin, dass das Christentum in vielen deutschen Gemeinden verdrängt wird.

9. Muslime in Deutschland stellen zu viele Forderungen an den Deutschen Staat.

Ihre Thesen/Fragen sind dem Anschein nach etwas gewagt oder auch provokativ; doch inwieweit kann man behaupten, dass junge Studierende ebenjene Thesen/Aussagen als selbstverständlich ansehen und möglicherweise die mit diesen Thesen verbundenen sozialen Vorurteile kategorisch verinnerlichen?

Wir gehen ganz stark davon aus, dass der größte Anteil der von uns befragten Studierenden ihre ausgewiesenen Vorurteile gar nicht als Vorurteile betrachten, sondern als Urteile, als Fakten, die sie gar nicht hinterfragen. Wir gehen nicht davon aus, dass wir es hier mit Rechtsextremen zutun haben oder mit Leuten, die irgendwelche braunen Attitüden haben, das in keinster Weise - Das ist mir sehr sehr wichtig festzuhalten!

Sondern die Leute vertreten eigentlich das, leider in einer höchst unreflektierten Form, was allgemein die Gesellschaft über DIE Muslime oder DEN Islam formuliert. Wir haben auch noch festhalten können, dass es vielleicht sowohl moderate Unterschiede zu allgemeinen Bevölkerungsstichproben gibt, die Unterschiede aber so gering sind, dass man durchaus behaupten kann, dass die Studierenden in einem ähnlichen; nicht gleichen aber in einem ähnlichen Ausmaß wie die allgemeine Bevölkerungsstichprobe diese Vorurteile vertreten. 

Plump formuliert sitzen Juden, Muslime und Ausländer im selben Boot nach dem Motto: „Alles was wir nicht kennen ist uns fremd und wollen wir nicht haben“, richtig?

Nein, das trifft nicht zu. Das wäre zwar eine mögliche Annahme gewesen, eine Hypothese, die wir aber als solche nicht so formuliert haben. Wir haben empirisch nachweisen können, dass sich diese Bereiche teilweise überlappen, aber nur in ganz geringem Maße. Das heißt, dass die Einstellung zu den Muslimen, die antimuslimischen Vorurteile in keinster Weise als deckungsgleich mit den antisemitischen Einstellungen oder den ausländerfeindlichen Einstellungen betrachtet werden können. Man könnte also zwangsläufig sagen, 'wer AusländerInnen feindlich im Sinne von stark vorurteilsbeladend gegenübersteht, der oder die wird sicherlich auch in einem ähnlichen Ausmaß antimuslimische Vorurteile haben. Das trifft so nicht zu. Auch wenn sich diese Bereiche überlappen, wie bei der Mengenlehre früher, ist es doch ein geringer Bereich in dem sie sich überlappen; sie sind also doch divergente und spezifische Vorurteile.

Kann man behaupten, dass die 'geistige Elite' letztlich die Gesellschaft und ihre Denkweise repräsentiert und das Ergebnis der Studie zu erwarten war?

Leider ja, aber was heißt „geistige Elite“? Das ist ein Ausdruck, den ich immer gern relativieren möchte. Geistige Elite bezogen auf den Wissensstand, auf die Leistungsfähigkeit, auf die Bereitschaft sich über mehrere Jahre mit ganz komplexen Inhalten auseinanderzusetzen – ja - aber nicht „Bildungselite“. Bildung im Sinne von, dass wir uns reflexiv gegenüber unserem Leben verhalten, dass wir reflexiv Alltagsthesen überprüfen, dass wir reflexiv in der Wissenschaft mit uns umgehen und dadurch versuchen unsere Gesellschaft hin zu einer erweiterten Demokratie zu verändern, dahingehend keine Elite, nein.

Die Studierenden schwimmen im Vorurteileinheitsbrei, der allgemeinen Gesellschaft, würde ich sagen. Als eine Elite, (auch eine Bildungselite; nicht nur eine Ausbildung sondern Bildungselite), müsste man sich fragen wie man Studierende dahingehend motivieren und aktivieren könnte über solche Alltagsvorurteile zu reflektieren und sich bewusster und gezielt von ihnen abzusetzen. Denn es sei festzuhalten, dass viele dieser Formulierungen, die wir hier gewagt haben, im inhaltlichen Sinne auch falsch, erwiesenermaßen falsch waren. Wenn man den hier formulierten provokanten Einstellungen und Fragen zustimmt, dann muss man sagen, dass man regelrecht eine Falschaussage tätigt.

Ich wiederhole mal gern eine Aussage: „Die hohen Geburtenziffern der muslimischen Frauen weisen darauf hin, dass das Christentum in vielen deutschen Gemeinden verdrängt wird“.

Dass solch eine an Absurdität grenzende Aussage sowohl von den Deutschen als auch von den befragten Kanadiern so stark Zustimmung fand, weist drauf hin, dass wir diese Vorurteile regelrecht inkorporiert haben. Man kann also die Einstellungen der deutschen Studierenden nicht einzig damit erklären, dass man sagt, das sei alles der Sarrazin-Debatte geschuldet. Denn die entsprechende Debatte hat es in Kanada nicht gegeben. So leicht ist das Ganze nicht. Man kann auch nicht behaupten die Migrationspolitik der Bundesregierung sei Schuld oder, dass es keinen Migrationsbeauftragten gäbe, sei das Problem. Das alles lässt sich so leicht nicht erklären.

Es ist also viel komplexer, obwohl die genannten Faktoren wohl nicht unschuldig am Problem sind. Es scheint hier so etwas wie einen „Globalisierungsprozess“ der Vorurteile gegeben zu haben.

Wie kann man sich in Anbetracht der Geschichte Deutschlands solch ein Ergebnis erklären? Ist es vorherzusehen gewesen?

Die Geschichte Deutschlands ist bezogen auf die Kriege selbstverständlich eine besondere. Das wissen wir. Dahingehend ist Deutschland darauf besonders sensibilisiert. Dagegen bezogen auf die Einstellung zu Muslimen stellt Deutschland keineswegs einen Sonderfall dar!

Seit über eintausend Jahren, mindestens eintausend Jahren - also seit den Kreuzzügen  - verfolgt uns dieser Wahn der antimuslimischen Vorurteile.

Ich warne auch eindeutig davor antimuslimische Vorurteile einzig und alleine aus der Gegenwart erklären zu wollen; das ist eine sehr lange Geschichte, die dahinter steht. Wir würden sonst die gleichen Fehler begehen, die wir beim Antisemitismus ganz viele Jahrzehnte lang gemacht haben, nämlich versuchen einzig aus aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, vermeintlich (und übrigens auch erwiesenermaßen fälschlicherweise) wegen der Israelpolitik oder was auch immer Antisemitismuswerte zu erklären. Der Antisemitismus ist sogar noch älter als antimuslimische Vorurteile, aber das ist ein Rang, um den man nicht streiten sollte. Die sind fast zweitausend Jahre alt. Und in diesem Sinne muss man sie auch in diesem Kontext verstehen. Sehr wohl die Aktualität mit einbeziehen, aber wenn man nicht die Geschichte miteinbezieht, hat man das Phänomen in keinster Weise erfasst.

Inwieweit gibt es Ähnlichkeiten/Überschneidungen zwischen antimuslimischen und antisemitischen Ressentiments?

Es gibt insofern Ähnlichkeiten, dass wir gewisse Items ähnlich für antisemitische oder antimuslimische Vorurteile formuliert bzw. spezifiziert haben. Aber es gibt in keinster Weise eine massive Überlagerung der Ergebnisse. Man kann also nicht sagen, wer ein Antisemit ist, der oder die hat auch massive antimuslimische Vorurteile. Trotz des zugegebenermaßen existierenden Überschneidungsbereiches sind es trotzdem eigenständige Einstellungsbereiche. Wer also hier versuchen würde, diese zwei Bereiche gemeinsam zu erforschen, weil sie vermeintlich dasselbe darstellen, würde unserer Meinung nach einen eindeutigen empirischen, wie übrigens auch theoretischen und auch historischen Fehler begehen.

Woran könnte es liegen, dass es bei den Antworten keine nennenswerten Unterschiede zwischen den von Ihnen befragten kanadischen und deutschen Studierenden gab?

Einerseits wegen der Geschichte, der Vorurteilsgeschichte gegenüber Muslimen, die eine sehr lange ist und eine 1000 Jahre alte Debatte markiert, die in die neue Welt herangetragen worden ist.

Wenn wir gesellschaftliche Bedingungen untersuchen, dann schauen wir uns meistens die letzten zehn oder zwanzig Jahre an, betrachten die aktuelle Politik und fragen weshalb diese nicht jene Einstellungen verändert hat. Warum soll sie das tun können, wenn dem eine tausendjährige Geschichte gegenüber steht, frage ich dann etwas keck.

Als gänzlich falsch erweist es sich für mich, wenn globalisierte Einsichten, die über eintausend Jahre bestand hatten keine Berücksichtigung finden, man stattdessen vorschnell den 11. September als Anknüpfungspunkt nimmt.

Der 11. September hat zweifelsohne das Ganze nochmals zugespitzt. Was man aber nachher aus dem 11. September getan hat, und das sage ich nicht, indem ich oberflächlich über die Opfer hinweg düse oder gar die Täter entschuldige; in keinster Weise, weder das eine noch das andere, aber der 11. September wurde teilweise in dieser Hinsicht, bezogen auf die antimuslimischen Vorurteile, enorm missbraucht und sehr gezielt eingesetzt, um diese Politik der Angst; der Angst gegenüber Muslimen, gegenüber den Anderen, den Exoten, den Nichtstrukturierten, denjenigen, die anscheinend aus dem Bauch heraus handeln und wenn sie es dann tun, dann eben gewalttätig sind, zu zementieren. Sprich, damit wurden die Vorurteile zementiert. Der 11. September wurde missbraucht; ist aber keineswegs ein gewichtiger Pfeiler der antimuslimischen Vorurteile der Moderne.

Kann man in anderen europäischen Ländern mit ähnlichen Ergebnissen wie in Deutschland und Kanada rechnen?

Es gibt keine eigentlichen Untersuchungen, insofern würde ich als Wissenschaftler sagen, das weiß ich nicht. Angesichts der Ähnlichkeit der Ergebnisse zwischen Deutschland und Kanada, bei aller Unähnlichkeit der Stichproben und der gesellschaftlichen Kontexte aber, gehe ich davon aus, dass wir sehr ähnliche Ergebnisse erhalten werden. Interessant ist ja auch, dass wir keine entsprechenden Vergleichsstudien von Studierenden haben. Wir haben teilweise von allgemeinen Stichproben Bevölkerungsstichproben vorliegen, wo es sehr wohl so ist, dass es teilweise Unterschiede gibt; diese sind aber regelrecht moderat.

In rund einem - eineinhalb Jahren möchten wir neue Ergebnisse vorlegen. Wir haben vor in zehn unterschiedlichen Standorten über Europa, Kanada und teilweise auch USA eine ähnliche Studie vorzunehmen, um dann auch angemessen auf diese Frage eine Antwort geben zu können.

Was könnte das für Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland haben?

Ja, wird es Auswirkungen haben? Das ist die Frage. Stellt es für Leute ein Problem dar? Stellen diese Einstellungen für viele Leute ein Problem dar oder denkt man nicht doch, ja das ist doch so. Ich bin sicher, dass viele Leute diese massiven Vorurteile gar nicht als Vorurteile outen würden. Beispiele wie: „Muslime in Deutschland sind krimineller als andere Deutsche“, gehören so zum Alltagswissen, zum falschen Alltagswissen wohlgemerkt, dass es fast unmöglich ist dies auch mit wissenschaftlichen Daten zu entkräften.

Oder die Annahme, dass in muslimischen Familien mehr Gewalt zwischen Eheleuten vorherrscht, was auch immer übrigens der Terminus „Muslimische Familie“ heißt. Das Ganze müsste man alles nochmal sauber untersuchen und analysieren.

Ganz spannend wäre ja auch, wenn man mal dem nachgehen würde und untersucht, was eine „Muslimische Familie“ im Unterschied zu einer „Christlichen Familie“ ist. Es ist übrigens bereits im Selbstverständnis sowohl der Nichtmuslime, wie auch der Muslime, dass es weit mehr Gewalt in muslimischen Familien gibt. Ob das zutrifft, sei dahin gestellt.

In diesem Sinne müssten wir uns nicht einzig mit Vorurteilen befassen, die in der nicht-muslimischen Bevölkerung dominieren, sondern auch mit der Selbstdefinition der muslimischen Bevölkerung: Wer sind wir? Wodurch sind wir charakterisiert? Was macht es schlussendlich aus, wenn in „Muslimischen Familien“ geschlagen wird? Ist es dann wirklich der Bezug auf die Religion?

Warum sollen wir das Recht haben, die Religionszugehörigkeit als Erklärungsvariable heranzuziehen? Das ist ein hoch komplexer empirischer Vorgang, der bislang in keinster Weise und  von niemandem - ich betone - von niemandem in befriedigender Hinsicht untersucht worden ist. Bei einem Katholiken oder bei einem Protestanten würden man nie und niemals die Religionszugehörigkeit bestimmend formulieren, wenn es um Gewalttätigkeiten in der Familie geht. Bei den Muslimen maßt man sich das an; und das wird sogar als wissenschaftlich korrekt dargestellt.

Bei der Auswertung ihrer Ergebnisse haben sie interessanter Weise ihr Augenmerk auch auf die 'Stimmt- eher- Nicht Ankreuzer' gelegt; warum? Wie wichtig sind diese für die Auslegung der Studie?

Sie sind sehr wichtig, weil wir eben sehr kantige und massive Vorurteile vorgelegt haben. Wir haben nicht allgemeine Einstellungsfragen formuliert, wo man sagen kann: „Mag ich jetzt eher Hähnchen oder Rindfleisch?“. Vielmehr haben wir hier mit Fehlinterpretationen und Vorurteilen operiert.

Wenn Menschen bereit sind diese Fehlinterpretationen, diese massiven Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen zu tolerieren, dann sind wir der Meinung, dass wir hier durchaus ziemlich streng sein können und sagen müssen, dass die einzige mögliche Antwortvariante für einen reflektierte/n Mitbürger/Mitbürgerin eigentlich „Das stimmt überhaupt nicht!“ ist.

Wir haben empirisch überprüfen und nachweisen können, dass wer zum Beispiel im Bereich antimuslimische Vorurteile „Stimmt eher nicht“ sagt, massive Vorurteile in anderen Vorurteilsbereichen aufweist, nämlich Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Geschlechterrollenstereotype und mit einer zehn bis fünfzehnfach höheren Wahrscheinlichkeit dann auch sagt: „Diese Vorurteilsbereiche stimmen eher zu oder stimmen voll und ganz zu“.

Das heißt, es scheint hier ein Bann gebrochen zu werden, sobald man sich nicht ganz deutlich von diesen Vorurteilen absetzt. Und ich meine jetzt nicht deutlich im Sinne der politischen Korrektheit, sondern im Sinne der Demokratiefreundlichkeit.

Wie kann man sich als Studierender vor sozialen Vorurteilen, die antisemitische und anti-islamische Ressentiments annehmen können, schützen? Welche Maßnahmen sollten Universität und Gesellschaft hiernach ergreifen?

Schützen im klassischen Sinne geht ja nicht. Man kann nicht einen Schirm aufhalten und dann sagen: „Das betrifft mich nicht'. Einerseits muss man sich damit auseinandersetzen, was für Vorurteile man selber hat, das ist ganz wichtig. Dabei gehen wir immer davon aus, dass Menschen durchaus Vorurteile haben. Wir alle haben Vorurteile. Das es aber unsere Aufgabe ist, einer richtig verstandenen Bildungselite, diese Vorurteile zu hinterfragen. Wir sollten so etwas wie Wanderer darstellen, Bildungswanderer bezeichne ich das gerne, die dauernd  unterwegs sind und den ausgesprochenen Wunsch haben und auch das entsprechende Verhalten zeigen, diese eigenen Vorurteile oder diejenigen in den Gruppen, in denen man sich befindet oder sich bewegt zu minimieren. Das ist das Eine.

Das andere ist selbstverständlich in den Gruppen, in denen die Studierenden sind, dass sie sich auch melden, sobald sich Vorurteile zeigen; das sogenannte speak-up, was man aus Englischen kennt.

Dass man sich quasi nicht mit dieser Masse bewegt, die teilweise über die Muslime, Juden,  Türken oder über wen auch immer lachen, sondern den Mut hat...

Ich weiß es ist schwierig. Das ist durchaus sehr schwierig. Es gibt Situationen, wo es fast nicht möglich ist, aber man soll doch mindestens prüfen in welchen Situationen es möglich wäre. Und wenn man auch nur zwei oder drei dieser Situationen minimiert und wenn es Jeder und Jede von uns täte, dann gäbe es schon automatisch weit weniger Situationen, in denen so etwas vorkommt. Das ist die Verpflichtung der Studierenden.

Andererseits - und das ist ganz klar - gibt es auch eine sehr starke Verpflichtung der Universität. Und damit meine ich sowohl der Dozierenden, dass sie drauf achten sollten, selber nicht solche Einstellungen zu dementieren wie aber auch sensibel sein sollten auf mögliche Vorurteile oder gar konkrete Diskriminierungen im Rahmen ihrer Lerngruppen. Die Universität als Institution selbst hat wiederum die Möglichkeit wie auch die Verantwortung über institutionelle Vorgaben wie es zum Beispiel an der Universität Osnabrück nun verstärkt geschieht, zu agieren. Dass man z.B. festhällt, dass die Wertebildung oder die Frage der Vorurteile auch ein zentrales Thema des Präsidiums darstellt oder dass man solche Forschungsinstitute und Lehrinstitute entwickelt, wie das IMIS oder das Institut für islamische Theologie in Osnabrück, die einen integralen Teil des Universitätslebens darstellen.

Wie bricht man mit diesen Bildern? Was würden sie muslimischen und jüdischen Studierenden oder gar einem ihrer Verbände raten, wie sie damit umgehen sollen?

Es ist schwierig. Soll man den Opfern die Hauptverantwortung auferlegen? Das ist die Schwierigkeit. Soll man ihnen empfehlen sich bis zur Unkenntlichkeit zu assimilieren, damit sie keine Vorwürfe hören müssen? Nein, eindeutig nicht!

Ich würde den Verbänden wie auch den Studierenden empfehlen dieses Land nicht im geistigen Sinne zu verlassen, damit meine ich, dass sie sehr deutlich davon sprechen müssen, dass Deutschland auch ihr Land ist. Nicht, dass sie in den geistigen Zustand kommen zu sagen: „Ich bin hier nicht zu Hause“. Auch das Grundgesetzt spricht allen Menschen ungeachtet der Religionszugehörigkeit oder der Nationalität die gleichen Rechte zu. Sie sollen sich auf ihre Rechte beziehen und den ihnen zustehenden Teil Deutschlands einfordern. Deutschland gehört nicht nur den Vorurteilshabenden, Deutschland gehört allen Menschen, die in diesem Land leben. Also machen Sie Ihren Anspruch in diesem Land geltend - würde ich sagen.

Am 31. Oktober 2013 haben Sie Ihre Ergebnisse präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Veranstaltung trug den Titel: "Wie viel Menschenfeindlichkeit darf's denn sein? Zum Verhältnis von sozialen Vorurteilen und Zivilgesellschaft". Nun die abschließende Frage: Wie viel Menschenfeindlichkeit verträgt Ihrer Meinung nach unsere Gesellschaft?'

Interessanterweise scheint unsere Gesellschaft enorm viel Menschenfeindlichkeit zu tolerieren. Auszuhalten würde ich nicht sagen, weil die Defizite, die daraus entstehen, ja enorm sind. Ich plädiere als Ziel für diesen Bildungswanderweg, den ich vorhin beschrieben habe, von Nullvorurteilen im Wissenskontext Universität, wohlwissend, dass es eine Utopie ist. Aber Utopien haben für mich nicht etwas negatives, vielmehr stellen sie ein Ziel dar, an welchem man sich orientiert; so etwa wie die Sonnenblume, die sich zur Sonne richtet im Wissen drum, dass sie sie nie erreichen wird.

Wenn wir unseren Weg auch so darstellen könnten, dass wir sagen: unser Ziel ist es keine Vorurteile zu haben, im Wissen drum, dass wir immer welche haben werden, weil wir Menschen und damit fehlbare Wesen sind, würden wir damit zumindest eine bewusste Haltung einnehmen und uns dem Ziel nähern.

Das Problem ist nicht, dass wir Fehler machen oder vorurteilsbelastet sind, sondern dass wir unsere Fehler nicht reflexiv bearbeiten, dass wir bereit sind andere Menschen zu unterdrücken aufgrund von Banalitäten eigentlich, die als solche keine Unterscheidungsmerkmale darstellen. Aufgrund der Tatsache, dass wir zum Beispiel fälschlicherweise von dem „Islam“, dem „Islamischen Volk“, den „Islamischen Völkern“ oder Ähnlichem sprechen. Das sind Homogenisierungen und gleichermaßen auch Exotisierungen, die wir beispielsweise beim Christentum ja nie vornehmen würden.

In diesem Sinne empfehle ich, die Bereitschaft zu erlernen, die Bereitschaft zusammen zu leben; weil wir übrigens in einer globalisierten Welt auch rein funktional gesehen gar keine andere Chance haben.

Die Menschen, die hier an der Universität ausgebildet werden, sind dann auch die Leute, die später international tätig sein werden. Wie sollen diese Personen funktional und demokratisch in angemessener Form mit kulturell anders „gestrickten“ Menschen zusammenkommen, wenn sie schon davon ausgehen, dass sie quasi der höheren Kultur angehören? Das kann nicht passen, weder für die Gesellschaft, noch für das spezifische Unternehmen . Das sollten wir nicht fördern müssen.

 

Prof. Dr. phil. Wassilis Kassis ist Professor für Erziehungs- und Kulturwissenschaften an der Pädagogischen Fakultät der Universität Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Empirische Forschungsmethoden, Aufwachsen Jugendlicher zwischen Elternhaus und Schule, Resilienzentwicklung im Kontext von Elternhaus und Schule, Gewaltsozialisation, Lesesozialisation, geschlechtsspezifische Sozialisation, Genese und Verbreitung sozialer Vorurteile im Jugendalter, Antisemitismus, Antimuslimische Vorurteile.

 

                                           

Farah Bouamar studiert Germanistik und Philosophie an der Universität Paderborn und ist Slam-Poetin beim Projekt "i,Slam"